Bonner Kunstverein Wasserstandsmeldungen zur Kunst

Bonn · Es heißt, sie habe das noch nie so dezidiert (und vor allem vor Publikum) zu einem Mann gesagt: "Zieh dich aus!". Am Sonntag war es dann so weit: Christina Végh, Direktorin des Kunstvereins, befahl dem dänischen Künstler Christian Falsnaes, sich zu entkleiden. Er tat es und ging gleich nackt zur Sammeltour für den Kunstverein los.

 Reden über Kunst am großen runden Tisch von Nicolas Party auf dem Vorplatz des Kunstvereins.

Reden über Kunst am großen runden Tisch von Nicolas Party auf dem Vorplatz des Kunstvereins.

Foto: Thomas Kliemann

Végh und Falsnaes, der mit etlichen aktionistischen Interventionen glänzte, gestalteten die originellste Rede zum 50. des Bonner Kunstvereins, wobei die Direktorin geschickt von der Rolle der Kuratorin und dem Ritual der Vernissagenansprache in die des Künstlers und Rezipienten schlüpfte, der von Végh gesagt bekam: "Kunst ist nie auflösbar."

Der Kunstverein als Forum, als Ort riskanter Kunst-Behauptung, Labor für Positionen, die noch nicht durchgesetzt sind, Feld für Experimente und Spekulationen: Diese Klassifizierungen sowie das Lob für die Arbeit der drei Leiterinnen in der Geschichte des Vereins, Margarethe Jochimsen, Annelie Pohlen und Christina Végh, fanden sich in allen Reden auf dem sonnigen Vorplatz des Kunstvereins.

Der Verein habe "zu allen Zeiten sein Augenmerk auf junge Künstler gerichtet", sagte der 1. Vorsitzende Henning Boecker, und habe dabei viel Erfolg gehabt, wie zum Beispiel auf der documenta und Biennale in Venedig zu sehen sei, wo man immer wieder arrivierte Künstler sehe, die schon früh vom Kunstverein entdeckt wurden.

OB Jürgen Nimptsch hob die kulturpolitische Rolle des am 24. Mai 1963 in Bad Godesberg gegründeten Vereins heraus, aus dessen Mitte sich die Initiative für die Rettung des August Macke Hauses formierte. Der Kunstverein habe die Stadt Bonn so vor einer "gewaltigen Blamage" bewahrt. Bürgerschaftliches Engagement sei der Motor des Erfolgs.

NRW-Kulturstaatssekretär Bernd Neuendorf hob die spezielle Rolle des Kunstvereins gegenüber den Museen und dem Kunstmarkt hervor. Hier bewege man sich auf unerforschtem Terrain und am Puls der Bürger: "Da spiegelt sich das Bedürfnis der Menschen, der Kunst vor Ort zu begegnen."

Für den Festvortrag hatte Végh jemanden gefunden, der wie kaum ein anderer die Innenansichten der deutschen Exklusivform Kunstverein, die Stärken und Schwächen kennt: Stephan Berg, der vor seiner Intendanz am Kunstmuseum Kunstvereinschef in Freiburg und Hannover war, wollte nur über die Stärken sprechen. "Es ist ja Geburtstag!"

Er erwähnte die harten 70er, in denen Kunstvereine für tot erklärt wurden, und den gegenwärtigen Boom, sprach vom vermeintlichen Charme, mit wenig Finanzmitteln und unter dem Gesetz maximaler Selbstausbeutung "Wasserstandsmeldungen zur aktuellen Kunst zu geben". "Es ist die Aufgabe der Kunstvereine, mehr Fragen zu stellen, als sie zu beantworten", das sei noch immer so, auch in Zeiten, in denen sich Museen ebenfalls auf dem Feld der jungen Kunst tummeln, aber längst nicht so schnell reagieren können. Berg lobte die "schlanke Logistik und permanente Erneuerungsfähigkeit" des "Schnellboots Kunstverein" im Gegensatz zum "Tanker Kunstmuseum".

Gerade der Bonner Kunstverein sei auch ein kulturpolitisches Forum: Die Initiative "Mehr Kunst für Bonn" rüttelte etwa Bürger und Politik auf, beförderte eine Diskussion, an deren Ende 1992 die Eröffnung von Kunstmuseum und Bundeskunsthalle am Museumsplatz stand.

Gäste aus Politik und Kultur, viele Mitglieder und Freunde des Vereins feierten noch den ganzen Sonntag, saßen an dem riesigen runden Tisch von Nicolas Party und schwelgten in Erinnerungen, für die die Fotoschau "Fokussiert" von Franz Fischer und die gelungene, gerade erschienene Festschrift zum Jubiläum reichlich Material lieferten.

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