Streit im Bonner Rat Jamaika-Koalition vor der Zerreißprobe

Bonn · Die Jamaika-Koalition steckt offensichtlich in ihrer schwersten Krise seit der Kommunalwahl im Mai 2014. Anlass sind Wohnungsbauvorhaben in Bad Godesberg, Beuel und Ückesdorf, zu denen die Bündnispartner unterschiedliche Positionen vertreten.

„Die Koalitionsfrage steht im Raum“, sagte Grünen-Fraktionssprecher Peter Finger dem General-Anzeiger am Freitag. Am Donnerstagabend waren CDU und FDP auf der einen und die Grünen auf der anderen Seite während der Ratssitzung vor aller Öffentlichkeit im Streit aneinandergeraten.

Trotz monatelangen Ringens hinter den Kulissen um einen Kompromiss bei den umstrittenen Projekten in Roleber auf dem Gelände der ehemaligen Landwirtschaftskammer, in Ückesdorf am Götgesbach und in Bad Godesberg an der Wielandstraße hatte sich die Jamaika-Koalition nicht einigen können.

Eine erneute Vertagung der strittigen Themen, wie die Grünen im Rat gefordert hatten, lehnten CDU und FDP ab. Bei einer Kampfabstimmung setzten sich die Grünen mit Schützenhilfe aus den Reihen der Opposition lediglich beim Bauprojekt Wielandstraße durch. Als dann später die von Oberbürgermeister Ashok Sridharan (CDU) vorgeschlagene Ausweitung einer Videoüberwachung in Bonn zur Abstimmung stand, ging die Union baden: Die Grünen verweigerten ihre Zustimmung, die FDP enthielt sich.

Unübersehbar war der Frust bei vielen Mitgliedern quer durch die Koalitionsfraktionen. „Ihr seht doch, was hier los ist“, sagte Finger zum GA. Am Freitag wurde er konkreter: „Wir stecken in einer tieferen Krise. Wir werden am Montag in der Fraktionssitzung gemeinsam mit der Spitze unseres Kreisverbands beraten, wie es weitergeht.“

Mehrfach hätten die Grünen in der Debatte um die strittigen Bebauungspläne der CDU Kompromissvorschläge unterbreitet. Ohne Erfolg, berichtete auch Grünen-Planungssprecher Hardy Lohmeyer am Rande der Sitzung.

Grüne stimmen Bebauung grundsätzlich zu

Demnach wären die Grünen beim Landwirtschaftskammer-Areal in Roleber der CDU und FDP entgegengekommen, indem man der Bebauung bis zum Friedhof zugestimmt hätte. „Alles, was darüber hinaus geht, ist Landschaftsschutzgebiet und mit uns nicht zu machen.“ Das habe die CDU-Spitze abgelehnt. „Die CDU kann zurzeit vor Kraft nicht laufen“, sagte Lohmeyer. Finger ergänzte: „Jetzt müssen wir den Realitäten ins Auge gucken. Die CDU hat hier mehrfach grüne Prinzipien verletzt“.

Fraktionskollegin Brigitta Poppe hatte während der Sitzung vor allem CDU-Fraktionschef Klaus-Peter Gilles scharf kritisiert. Er stelle die Grünen so dar, „als seien wir die Retter der letzten Wiese, egal, ob Wohnungen gebraucht werden oder nicht. Das ist doch Quatsch“.

Die Grünen stünden dazu, dass in Bonn Wohnungen gebaut werden müssten. Aber: „Wir haben viele Bebauungspläne in der Pipeline, die wir dafür umsetzen können. Dafür haben wir ja auch zusätzliche Mitarbeiter in der Verwaltung eingestellt“, sagte Poppe. Dort, wo es ökologisch vertretbar sei, stimmten die Grünen einer Wohnungsbebauung grundsätzlich zu. „In diesen Grenzen können wir diskutieren.“

Grenzen, die CDU und FDP durchaus akzeptieren wollten, versicherte Gilles. Aber: „Wenn wir die Möglichkeit haben, Flächen zu generieren, die wie in Roleber prädestiniert sind für Wohnraumbebauung, sollten wir sie nutzen.“ Allein mit Wohnbauverdichtung, wie die Grünen sie forderten, sei in Bonn das Problem fehlender Wohnungen, vor allem auch der bezahlbaren Wohnungen nicht zu lösen.

Anders als Finger sieht der CDU-Fraktionschef die Koalition (noch) nicht auf dem Prüfstand: „Wir haben doch gemeinsam schon viel vorangebracht“, sagte Gilles. Allerdings könne er nicht leugnen, dass vor allem bei Planungsthemen die Zusammenarbeit mit den Grünen immer schwieriger werde. „Da haben wir einen Kernkonflikt. Die Hardliner sitzen aber nicht bei uns.“

Keine Diskussion auf Augenhöhe

Werner Hümmrich (FDP) gibt sich zwiegespalten. Einerseits lägen die Nerven blank. Stichwort Landtagswahl. Anderseits blockierten die Grünen beinahe jedes Bauvorhaben mit den Argumenten „Landschaftsschutz, Frischluftschneise oder Tierarten, die geschützt werden müssen. Da frage ich mich, wo wir denn noch Wohnungen bauen sollen.“

Es gehe auch um die Umsetzbarkeit des erst vor wenigen Wochen gemeinsam gefassten Beschlusses zur Einführung einer 30-Prozent-Quote für geförderten Wohnungsbau. „Da kommt es jetzt für uns alle zur Nagelprobe“, sagte Hümmrich. „Wir können doch nicht immer nachgeben, nur um die Koalition zu bewahren.“

Wie tief die Gräben sind, machte Angelica Kappel deutlich. „Es wird in der Koalition schon lange nicht mehr auf Augenhöhe diskutiert“, sagte die Grünen-Ratsfrau. Ebenso sehen auch einige CDU-Fraktionsmitglieder, die nicht genannt werden wollen, bei Jamaika das Ende der Fahnenstange bald erreicht. Dass die CDU als größte Fraktion angeblich bereits die Möglichkeit einer Zusammenarbeit mit der SPD auslotet, bestreitet Gilles allerdings.

„Ich beobachte nur sehr genau, ob die SPD sich konstruktiv verhält“, sagte er. „Uns sind die Streitigkeiten zwischen den Bündnispartnern natürlich nicht entgangen“, sagte SPD-Fraktionschefin Bärbel Richter. Auf die Frage, ob die Zusammenarbeit mit der Union für die Sozialdemokraten eine Option sei, sagte sie: „Wir werben in erster Linie für unsere Positionen. Als Lückenbüßer stehen wir nicht zur Verfügung.“

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