Johanniter-Stift Meckenheim Karin Weiss trägt regelmäßig Grimmsche Texte vor

MECKENHEIM · Karin Weiss ist für manche Überraschung gut. Das haben die Bewohner des Johanniter-Stifts am Le-Mée-Platz in der Vergangenheit schon häufiger bemerkt. Warum die Märchenerzählerin allerdings diesmal Feldsalat zur Einstimmung auf ihren Vortrag mitgebracht hat, lässt die Senioren rätseln.

 Besuch im Seniorenhaus: Das Klangspiel setzt Karin Weiss beim Märchen "Frau Holle" ein.

Besuch im Seniorenhaus: Das Klangspiel setzt Karin Weiss beim Märchen "Frau Holle" ein.

Foto: Wolfgang Henry

"Riechen Sie und fassen Sie den Salat an", fordert Weiss ihre Zuhörer auf. Wobei es sich fast eher um Zuschauer handelt, denn wenn die Märchenerzählerin loslegt, sind alle Sinne gefragt.

Seit eineinhalb Jahren kommt die Altendorferin jeden ersten Dienstag im Monat ins Johanniter-Stift, um die Senioren für 45 Minuten in eine andere Welt zu entführen. Da die frühere Beamtin ihr Hobby mittlerweile zum Beruf gemacht hat, tritt sie nicht ehrenamtlich auf, aber gegen ein kleineres Honorar als gewöhnlich. "Wenn ich die Leute zum Lächeln bringe, ist das für mich einfach toll", sagt die 55-Jährige.

Aber zurück zum Feldsalat. Der ist ein erster Hinweis auf das Märchen, mit dem Weiss beginnt. "Rapunzel", bricht es auf einmal aus einer Dame heraus, die bis dahin eher teilnahmslos wirkte. "Richtig", sagt Weiss, hält eine Klangschale hoch und nimmt ihre 14 Gäste mit zurück "in eine Zeit, als das Wünschen noch half", wie es in Märchen gerne heißt.

Das tut die blonde Frau natürlich zu allererst über ihre Stimme, in der mächtig Timbre liegt. Aber es ist auch das Wie, das die Senioren an ihren Lippen hängen lässt. Weiss trägt frei vor, sucht den Augenkontakt zu den Menschen, legt Verzweiflung in die Stimme von Rapunzels Mutter, als diese der Zauberin ihr Kind geben muss und Berechnung, als die Zauberin mit Rapunzels Vater den unheilvollen Pakt schließt.

"Die Auftritte sind ein immaterieller Zugewinn für unsere Bewohner", begründet Einrichtungsleiterin Lisa Wald-Weiden, warum sie Weiss auch 2013, nach dem Gebrüder-Grimm-Jahr, weiter engagieren wird. "Das Wiederauflebenlassen der Märchen bindet die Vergangenheit", versucht Wald-Weiden zu erklären, was in den Köpfen der Senioren vorgeht. Für viele sei der Termin ein Highlight unter den gewöhnlichen Veranstaltungen wie Gymnastik oder Plätzchenbacken zum Weihnachtsfest. Das sieht Brigitte Marklewitz ganz genauso.

Die 74-Jährige zählt zu den Stammzuhörern und lobt Weiss, weil "die das alles so schön bringt". Als Kind hat Marklewitz viel gelesen und dafür Schimpfe vom Vater erhalten, der sich Sorgen um die Augen seiner Tochter machte. Auch Margitta Schmid fühlt sich in die Jugend zurückversetzt. "Ich bin und war eine alte Märchentante", sagt die 87-Jährige. Sie findet es faszinierend, dass Weiss die Geschichten immer so ausschmückt. Das liegt zum einen sicher am Talent der 55-Jährigen. "Aber ich habe auch mehrere Jahre eine Ausbildung in Hannover gemacht", erzählt die Altendorferin, die auch zu Geburtstagen, in Cafés und Restaurants oder an Schulen ihr Können vorträgt.

"Am liebsten Grimm, aber auch Orientalisches", sagt sie über ihre Favoriten. Kunstmärchen sind (noch) nicht ihr Ding, doch an "Scheherazade" würde sie gerne 'ran. "Aber das ist zu lang." Schließlich hat sie im normalen Repertoire 30 Märchen im Kopf, die sie aus dem Stegreif erzählen kann. Ihrer Tochter hat sie früher immer vorgelesen, aber irgendwann faszinierte sie das frei gesprochene Wort.

Der mitgebrachte Feldsalat sieht mittlerweile etwas traurig aus, regt aber die Fantasie einer Seniorin bezogen auf die Gegenwart an. "Rapunzelsalat braucht die richtige Soße, gehen Sie mal zu unserem Koch und bringen Sie dem das bei", sagt die Dame kess.

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