Volo will's wissen Moritz Rosenkranz fährt mit der S12 zur Endhaltestelle Au an der Sieg

Siegburg · Kennen Sie das? Dass Sie sich in Liedtexten wiederfinden? Mir passiert das häufiger. Zuletzt habe ich herausgefunden, was Christian Anders mit seinem Gassenhauer "Es fährt ein Zug nach Nirgendwo" sagen wollte. Dieser Zug kam zwar nicht im "Nirgendwo" an, sondern in Au an der Sieg, der Endhaltestelle der S12. Aber, wie heißt es in dem Lied so schön: "mit mir allein als Passagier".

Es gibt ja so Orte, die kennt man nur aus einem Grund. Gummersbach beispielsweise - wegen des Handballvereins. Oder Siegen - wegen des alten Spruchs: "Was ist schlimmer als verlieren?" Eben. Oder Schwerte-Ergste - wegen Gegenständen auf der Fahrbahn, bekannt aus den Staumeldungen.

Und dann gibt es da noch Au. Oder genauer gesagt Au (Sieg). Bahnfreunde wissen, was gemeint ist. Sofort ploppen Assoziationen auf im Kopf: Au (Sieg), das klingt irgendwie nach Eisenbahnromantik, nach einer Art Auenland für Bahn-Nostalgiker. Allein die Namensgebung, diese Besinnung auf das Wesentliche, diese liebevolle Reduktion: Au - und alles ist gesagt. Es gibt Autokennzeichen, die sind länger. Das von Aurich zum Beispiel: AUR. Wird Au (Sieg) mal Großstadt, gäbe es in dieser Hinsicht sicher keine Probleme.

Eine erste kleine Enttäuschung erlebe ich jedoch schon kurz nach dem Start in Siegburg. "Guten Morgen, den Fahrausweis bitte", sagt der überaus freundliche Kontrolleur. Ich zücke meinen voller Stolz. Doch bevor ich lauthals ausrufen kann: "Ja, ich fahre nach Au!", ist der Kontrolleur schon weitergegangen. Als wäre es etwas Alltägliches, diese Reise anzutreten!

Doch die Weiterfahrt ist ein Highlight, denn die Zeichen stehen auf Sieg: Dattenfeld (Sieg), Schladern (Sieg), Rosbach (Sieg) - zugegeben, damit gewinnt man als Streckenplaner nicht unbedingt Kreativwettbewerbe. Doch allein dieses Wörtchen "Sieg" strahlt eine gewisse Gewinnermentalität aus.

Angekommen in Au (Sieg!) dann die erste echte Enttäuschung: keine goldenen Schienen, keine lichtdurchflutete Bahnhofshalle. Nur diese blecherne Computer-Durchsage: "Unsere S-Bahn endet dort." Sie endet? Ich bekomme Angst. Sollte Au (Sieg) tatsächlich ein S-Bahn-Friedhof sein? Ich steige aus. Erleichterung. War wohl nur Bahn-Deutsch für Fortgeschrittene.

Was direkt auffällt: Es wird gebaut. Die Bahn modernisiert ja ständig ihre wichtigsten Bahnhöfe, siehe Stuttgart (21). So also auch in Au (Sieg). Dank Rampen und Aufzügen ist er schon behindertengerecht. Sehr freundlich. Auch das Angebot am idyllischen Bahnhofsvorplatz wirkt großstädtisch: Ein Taxiunternehmen und ein Mietwagenverleih verströmen fast schon internationales Flair.

Der Blick schweift weiter. Wo ist denn die Fressmeile, die beispielsweise im Kölner Hauptbahnhof so beliebt ist? Der kleine Kiosk, aus hellen Eichenbrettern zusammengezimmert, ist geschlossen. Langsam dämmert's: Au (Sieg) ist wohl doch nicht das bedeutende Drehkreuz, für das ich es gehalten hatte, sondern ein mini-Kaff in der Gemeinde Windeck.

Kontaktaufnahme mit Eingeborenen: Ortskern? "Eigentlich gibt es hier nur zwei Straßen. 200 Meter nach rechts, 200 Meter nach links", sagt der trotzdem zufrieden wirkende junge Mann. Und die Bäckerei, wo ist die? "Hier gibt es nichts, nur einen Imbiss, das war's", sagt er, bevor er wegfährt. Wahrscheinlich hatte er Hunger und keine Lust auf Pommes. Die gibt es nämlich in der "Schlemmerstube" am Ortseingang. Bei Heike Gerhards trifft sich das Dorf zum Palavern am Kamin auf ein Schnitzel, ein Kotelett oder eben Pommes.

Vor 20 Jahren gab es hier alles: Tankstelle, Blumenladen, Post, Bäckerei. Jetzt ist alles weg", sagt Mario Gerhards, Heikes Mann. Die Menschen würden aber viel auf die Beine stellen. "Das Dorf lebt", sagen die Gerhards. Allerdings fühlen sich viele im Ort vergessen. "Vergessen von der Gemeinde." Dabei sei Au doch "die Perle an der Sieg". Ich nehme die rechte Straße zurück zum Bahnhof. Dass dort kein Strauch über den Hof geweht wird, so wie in vielen alten Western, ist alles. Ich steige wieder in die S 12. Die nach Siegburg. Mit mir allein als Passagier. Au Backe!

Moritz Rosenkranz ist Volontär in der Redaktion Siegburg und besucht markante Ziel in der Region.

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