Fährtenleser im trüben Wasser

Nach jahrelanger Forschung haben Biologen der Uni Bonn herausgefunden, wie sich Robben orientieren - Die Barthaare der Meeressäuger nehmen kleinste Wasserbewegungen wahr

Die Schnurrhaare  der Seehunde sind nicht nur niedlich, sondern auch nützlich: Mit ihnen fühlen die Tiere den Schwimmbewegungen ihrer Beute nach.

Die Schnurrhaare der Seehunde sind nicht nur niedlich, sondern auch nützlich: Mit ihnen fühlen die Tiere den Schwimmbewegungen ihrer Beute nach.

Foto: Frank Homann

Bonn. Taucher, die in der Nordsee die Meeresfauna erkunden wollen, fischen im wahrsten Sinne des Wortes meist im Trüben: Die Sicht ist oft stark begrenzt und die Suche nach dem richtigen Weg ein mühsames Unterfangen. Neidisch blickt der Taucher da auf die schwimmenden Meeresbewohner, die keinerlei Probleme mit der Orientierung haben. Fische und Meeressäuger wie Delfine, Robben oder Wale sind mit naturgegebenen Navigationssystemen ausgestattet, deren Leistungsfähigkeit selbst Wissenschaftler immer wieder in Erstaunen versetzt.

Nach jahrelanger Forschung haben Biologen der Uni Bonn jetzt in Zusammenarbeit mit der Ruhr-Universität Bochum herausgefunden, wie sich Seehunde unter Wasser orientieren: "Mit Hilfe ihrer Barthaare sind sie in der Lage, winzige Wasserbewegungen, die von bewegten Körpern unter Wasser ausgehen, über Distanzen bis zu 40 Metern zu verfolgen", erklärt der Bonner Neurobiologe Professor Horst Bleckmann.

Robben sind nahezu in allen Meeren zu Hause: ob an der Küste Kaliforniens, in der Arktis oder vor der Nordseeinsel Sylt. Auf ihrer Suche nach Beute bewegen sie sich bis zu 300 Meter unter der Wasseroberfläche - in Tiefen, in die kein Lichtstrahl mehr dringt. "Obwohl Seehunde sehr gute Augen haben, können sie problemlos auch in der Dunkelheit oder blind jagen", so Bleckmann.

Bislang gingen die Forscher davon aus, dass sich die flinken Meeressäuger durch ihr Gehör in den Ozeanen zurechtfinden. Mit ihren Ohren orientieren sich nämlich auch Wale und Delfine - durch Echoortung. Die Tiere erzeugen sehr hohe Ultraschalltöne, die von Beute oder Hindernissen zurückgeworfen und über den Unterkiefer zum Ohr weitergeleitet werden.

Aus der Zeit zwischen Ultraschallsignal und Echo bekommen sie eine Vorstellung von der räumlichen Distanz. Bei Robben ließ sich dieses Echolotsystem allerdings nicht nachweisen.

Wie die tauchenden Säuger mühelos mit der Trübe zurechtkommen, hat das Bonner Biologenteam jetzt mit ausgetüftelten Untersuchungsmethoden festgestellt. Die Robben nutzen unter Wasser ihre langen Barthaare (Vibrissen) rund um die Schnauze, um beispielsweise Beute und andere Objekte zu orten.

An der Wurzel eines jeden Barthaares sitzen rund 1 500 Nervenzellen, die hochempfindlich auf kleinste Reize reagieren. Die Haare erfüllen zum einen die Funktion von Fingern, mit denen die Robben im Meeresboden eingegrabene Fische ertasten. Zum anderen können die Tiere damit feinste Wasserbewegungen in einer Größenordnung von weniger als einem Tausendstel Millimeter wahrnehmen.

Solche winzig kleinen Wellen, die beispielsweise von einem vorbeischwimmenden Fisch ausgehen, bezeichnen die Wissenschaftler als "hydrodynamische Spur".

Der Nachweis dieser Fähigkeit gelang den Forschern in Verhaltensexperimenten mit Seehunden im Kölner Zoo sowie in der Seehundaufzuchtstation Friedrichskoog. Die Forscher ließen dazu ein automatisches Mini-U-Boot in einem Wasserbecken fahren. "Wir hielten die Versuchstiere dabei zunächst in einem Ring über dem Wasser fest. Damit sie das U-Boot weder sehen noch hören konnten, setzten wir ihnen undurchsichtige Strumpfmasken und Kopfhörer auf", erläutert Guido Dehnhardt von der Universität Bochum den Versuchsablauf.

Nachdem das U-Boot einige Sekunden lang auf einem nicht vorhersehbaren Kurs gefahren war, schaltete es sich ab und trieb lautlos im Wasser. Die Forscher nahmen den Seehunden die Kopfhörer ab. Das war das Startsignal.

Immer noch blind durch die Maske tauchten sie langsam ab und suchten ungezielt nach der Spur des U-Bootes. Sobald sie die Wasserbewegungen kreuzten, änderten sie aber gezielt die Richtung. Das war das Zeichen für die Wissenschaftler, dass die Robben die Spur des U-Boots gefunden hatten und ihr jetzt folgten.

"Analysen von Video-Aufnahmen bestätigen, dass die Tiere die Richtung des U-Bootes stets richtig bestimmten und jede kleine Kursänderung genau verfolgten", so Dehnhardt. Jetzt wollen die Wissenschaftler herausfinden, ob die Seehunde nicht nur künstlichen, sondern auch von Fischen erzeugten Spuren folgen können, und ob sie diese Fähigkeit in ihrem Jagdverhalten auch nutzen. "Wir gehen allerdings fest davon aus, dass dies so ist", sagt Bleckmann.

Auf ihre Entdeckung sind die Forscher über das Navigationssystem der Fische gestoßen - seit Jahren das Spezialgebiet des Bonner Professors. Fische orientieren sich im Wasser über ihr Seitenliniensystem. "Ihre Haut ist übersät mit winzigen Sinnesknospen, die ähnlich wie die Barthaare der Robben empfindlich auf Wasserbewegungen reagieren", erklärt Bleckmann. Sinneszellen registrieren diese Bewegungen und leiten sie an das Gehirn weiter.

Wie erkennt der Fisch aber nun, ob es sich um die durch seine eigenen Schwimmbewegungen erzeugten Wellen handelt oder um die eines anderen Tieres? Bleckmann und seine Mitarbeiter haben herausgefunden, dass es sich bei den Seitenlinien um zwei getrennt voneinander funktionierende Systeme handelt. Eins dieser beiden Systeme ist in der Lage, fremde Bewegungen von der Eigenbewegung des Fisches zu trennen.

Die Wissenschaftler stellen sich nun die Frage, ob die Meeresbewohner der hydrodynamischen Spur "ansehen" können, welches Tier sie erzeugt hat - ob sich zum Beispiel ein Hering oder ein Hummer vor ihnen im Wasser bewegt hat. Bleckmann hält dies nicht für unwahrscheinlich: "Tiere vollbringen phantastische Leistungen."

Fledermäuse zum Beispiel könnten mithilfe ihres Echosystems herausfinden, ob ein Marienkäfer oder eine Fliege vor ihnen in der Luft herumschwirrt. "Warum sollten nicht auch Meeresbewohner mit Hilfe ihres Vibrissen- oder Seitenliniensystems dazu in der Lage sein?"

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