Ruf nach Gerechtigkeit

AMSTERDAM · Noch halten sich die Niederlande mit Schuldzuweisungen nach dem Absturz von Flug MH017 zurück. Doch die Geduld schwindet

 Klare Worte: Ministerpräsident Mark Rutte am Samstag bei einer Pressekonferenz.

Klare Worte: Ministerpräsident Mark Rutte am Samstag bei einer Pressekonferenz.

Foto: dpa

"Mörder" prangt in schwarzen Großbuchstaben auf der Titelseite des "Telegraaf". Dazu stellt das rechtsgerichtete niederländische Boulevardblatt Fotos von den Führern der prorussischen Rebellen in der Ostukraine. Eine Seite weiter: Fotos von 63 der insgesamt 193 niederländischen Opfer. "Sie wurden ermordet", schreibt die Zeitung.

Prominent brachten am Samstag alle Medien einen der Rebellen ins Bild: Der als Schlüsselfigur der Separatisten geltende Igor Girkin. Er soll kurz nach dem Absturz der Boeing der Fluggesellschaft Malaysia Airlines über den Kurznachrichtendienst Twitter damit geprahlt haben, seine Kämpfer hätten ein ukrainisches Militärflugzeug, eine Antonow An-26, abgeschossen. Dieser Tweet war jedoch nach Angaben der Separatisten gefälscht.

Nach dem Schock über die unvorstellbare Katastrophe, die 193 Holländer das Leben kostete, wird in den Niederlanden der Ruf nach Gerechtigkeit und einer härteren Gangart gegenüber Moskau laut. Mit Schuldzuweisungen an die Adresse Moskaus hält sich die niederländische Regierung bisher zwar deutlich zurück. Doch angesichts des Chaos bei der Bergung der Opfer und der Behinderungen der internationalen Untersuchungen ist auch die Geduld Den Haags am Ende.

Mit nur mühsam unterdrückter Wut forderte der niederländische Regierungschef Mark Rutte am Samstagabend den russischen Präsidenten Wladimir Putin auf, endlich einzugreifen. "Er muss jetzt den Niederlanden und der Welt beweisen, dass er tut, was von ihm erwartet wird: Seinen Einfluss ausüben." Er habe mit Putin ein sehr "intensives Telefongespräch" geführt, sagte Rutte. Diplomatische Sprache für: Ich habe ihm deutlich meine Meinung gesagt.

Den Haag erhöht den Druck auf Putin. Doch das heißt nicht, dass Russland oder die prorussischen Rebellen für den Absturz von Flug MH17 verantwortlich gemacht werden. Erst müssten die Fakten auf den Tisch, sagte Rutte. "Wenn deutlich wird, dass dies ein Anschlag war, dann werde ich mich persönlich dafür einsetzen, dass die Täter gefunden werden und ihre gerechte Strafe bekommen", sagt Rutte.

Dagegen verweisen Medien, Experten und Politiker auf die Rebellen als Schuldige und ziehen die Verbindung zum russischen Präsidenten. Putin habe den Konflikt in der Ukraine nicht nur geschürt, sondern die Rebellen auch mit schweren Waffen und Experten unterstützt. "Ohne Moskau keine Rebellen", sagte der rechtsliberale Europa-Abgeordnete Hans van Baalen. "Staatspropaganda, die die Mordlust schürt", wirft die linksliberale Zeitung "De Volkskrant" Wladimir Putin vor.

"Wir werden nicht eher ruhen, bis die Sache von Grund auf geklärt ist", versprach Rutte. Das ist vielen im Land zu wenig. "Man muss nun endlich mit der Faust auf den Tisch schlagen", fordert nicht nur "De Telegraaf". In Kommentaren und Leserbriefen wird zu schärferen Sanktionen gegen Moskau und sogar zu einem Boykott Russlands aufgerufen. Auch die eigene Regierung müsse nun Flagge zeigen, meinen viele Niederländer.

Doch wer sollte überhaupt über die Täter zu Gericht sitzen? Als mögliches Kriegsverbrechen könnte der mutmaßliche Abschuss von Flug MH017 vor den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag gebracht werden. Dafür plädierte bereits die ukrainische Regierung. Doch ohne Beweise geht gar nichts. Und dafür sind wieder unabhängige Ermittlungen notwendig. "Internationaler Druck auf Putin kann dabei helfen", sagte der Experte für internationale Beziehungen, Ko Colijn.

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