Regierungsbildung in Brüssel Parteien basteln an verschiedenen Koalitionsmöglichkeiten

BRÜSSEL · Fast drei Monate ist es her, dass die Belgier ihr neues Parlament gewählt haben, und immer noch sind die Parteien weit von einer Regierungsbildung entfernt.

Schon tauchen in den Kommentaren die ersten sarkastischen Spekulationen auf, ob wohl der Rekord (541 Tage), der beim letzten Mal aufgestellt wurde, gebrochen werde. Wohl eher nicht - immerhin zeichnet sich ab, welches Parteienbündnis das Land künftig auf Bundesebene führen soll: eine "Schweden"- oder auch "Ikea"-Koalition aus flämischen Nationalisten (Gelb), Liberalen (Blau) und Christdemokraten (Kreuz).

Viel Urlaub hat es für Charles Michel von der liberalen Partei MR und den Christdemokraten Kris Peeters dieses Jahr nicht gegeben: König Philippe hat die beiden zu Regierungsbildnern bestellt. Während ihre Kollegen sich Sommerferien gönnen konnten, erarbeitete das Duo eine Plattform für das geplante Mitte-Rechts-Bündnis.

Am Montag begannen die regulären Koalitionsverhandlungen, die nach dem Willen der Parteiführungen zügig abgeschlossen werden sollen. Wenn im Herbst das Parlament aus der Sommerpause zurückkehrt und Brüssel der EU-Kommission die Haushaltsplanung fürs kommende Jahr melden muss, soll die neue Regierung stehen.

Das Tandem Michel/Peeters ist eine Neuerung - normalerweise gibt es nur einen einzigen "formateur", der im Erfolgsfall auch Ministerpräsident wird. Doch diesmal schien es notwendig, für eine Balance zwischen Führungsfiguren aus der französischsprachigen Wallonie und dem nordbelgischen Flandern zu sorgen, wo die Menschen Niederländisch sprechen.

So wurde dem langjährigen flämischen Ministerpräsidenten Peeters, nun designierter Nachfolger des wallonischen Sozialisten Elio di Rupo als Landespremier, der Wallone Michel beigesellt.

Das Misstrauen der Wallonen ist groß, denn erstmals will auf nationaler (die Belgier nennen das die "föderale") Ebene eine Partei mit ans Ruder, die sich die Teilung des Königreiches auf die Fahnen geschrieben hat: Die N-VA, Ende Mai Wahlsieger in Flandern, betreibt die Abspaltung des Nordens, was aus wallonischer Sicht eine nationale Katastrophe wäre.

Deswegen haben es die Christdemokraten im Süden rundum abgelehnt, in ein Bündnis mit der N-VA und ihrem Chef Bart De Wever, dem Bürgermeister von Antwerpen, einzutreten. Die Wallonen werden vermutlich nur in Gestalt der MR in der Regierung vertreten sein.

Anders als bei früheren Koalitionen, die sich vor allem mit Verfassungsreformen - wie weit soll die Regionalisierung Belgiens gehen? - abmühten, stehen beim Richtungsstreit diesmal wirtschaftliche und soziale Fragen im Vordergrund. Die N-VA hat bislang auf den Versuch verzichtet, ihre Abtrennungswünsche im Regierungsprogramm zu verankern. De Wever, selber als Regierungskonstrukteur gescheitert, gibt sich gemäßigt.

Einen Kabinettsposten strebt er nicht an und will vorerst Stadtchef in Antwerpen bleiben. Das ist wohl weniger Bescheidenheit als Taktik - seine Partei wird die Anhänger enttäuschen müssen, die von einer N-VA in der Regierung erwarten, dass es nun aber auch losgeht mit dem Auszug aus der Gemeinschaft mit dem ungeliebten Süden. Da kann ein Stück Distanz zu Brüssel nicht schaden.

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