In Großbritannien steht das Zweiparteien-System vor dem Ende Kleine Königsmacher

LONDON · Endlich ging es wieder nur um ihn. Am Osterwochenende fütterte Premierminister David Cameron auf einem Bauernhof ein verwaistes Lamm mit der Milchflasche, tags zuvor aß er in einem englischen Privatgarten zu Mittag.

Er schien, nur wenige Wochen vor der Parlamentswahl am 7. Mai, sichtlich entspannter in seiner Wahlkampfrolle als noch wenige Tage zuvor. Da musste er, live im Fernsehen, an einem Stehpult neben sechs weiteren Parteichefs seine Politik erklären und die Briten überzeugen, ihn noch einmal zum Premierminister zu wählen.

Das Parteienspektrum auf der Insel, das jahrzehntelang von den Konservativen und Labour beherrscht wurde, hat sich aufgefächert. Steht Großbritannien eine Zeitenwende bevor? Ist das Zweiparteiensystem am Ende? Umfragen zufolge liegen Camerons Konservative und die sozialdemokratische Labour-Partei unter Ed Miliband gleichauf. Der Ausgang ist offen, eine absolute Mehrheit unwahrscheinlich.

Dabei begünstigt das britische Mehrheitswahlrecht die beiden großen Parteien. Nun aber schielen alle auf die Kleinen. Auf die Liberaldemokraten, die in den vergangenen fünf Jahren zusammen mit den Konservativen regiert haben. Auf die walisische Nationalpartei Plaid Cymru und die Grünen.

Auf die rechtspopulistische Unabhängigkeitspartei Ukip, die vor allem seit der Europawahl mit ihrer Stimmungsmache gegen die EU und Einwanderer an Boden gewinnt. Und nicht zuletzt auf die Scottish National Party (SNP), die vorigen Herbst zwar das Schottland-Referendum verloren, dafür aber im Anschluss Tausende Mitglieder dazugewonnen hat und nun zur drittgrößten Partei des Landes aufgestiegen ist, obwohl sie nur in Schottland antritt. Sie gilt nun als Königsmacher.

Selbst wenn Labour nicht als stärkste Partei abschneiden sollte, könnten sich die Sozialdemokraten in einer Minderheitsregierung von der SNP dulden lassen. Laut Umfragen dürfen die Schotten auf bis zu 50 der insgesamt 650 Parlamentssitze hoffen, damit könnten sie Miliband in die Downing Street Nummer 10 verhelfen. Und das würden sie auch, wie SNP-Chefin Nicola Sturgeon jetzt ankündigte. Zudem bietet sich für den Oppositionsführer die Möglichkeit, sowohl die Waliser auf seine Seite zu ziehen als auch Camerons bisherigen Koalitionspartner, die Liberaldemokraten.

Und die Tories? Sie stehen ziemlich allein auf weiter Flur. Ein Bündnis mit Ukip kommt nicht in Frage. Gleichwohl sind es die Rechtspopulisten, die den Konservativen zusetzen, vor allem an der Ostküste. Die Ukip-Abtrünnigen, die Cameron einmal als "Spinner, Verrückte und verkappte Rassisten" bezeichnete, forderte er jetzt auf, "wieder nach Hause" zu den Tories zu kommen. Dabei ist die kleine Krawallpartei noch längst nicht salonfähig: Während der TV-Debatte schwadronierte Ukip-Parteichef Nigel Farage etwa darüber, HIV-Infizierten das Recht auf Einwanderung zu verwehren, da die Behandlungskosten zu hoch seien.

Die Abstimmung am 7. Mai gilt als Richtungswahl. Nicht nur für Cameron und Miliband, sondern vor allem für das britische Zweiparteiensystem. Ein Drittel der Bevölkerung kündigte schon jetzt an, nicht für die beiden Großen stimmen zu wollen. Die politische Landschaft ist fragmentierter geworden, Westminster erwartet das am buntesten zusammengesetzte Parlament seiner Geschichte. Das ist einen Monat vor der Wahl die bislang einzige Gewissheit.

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