EU-Parlament verschiebt Debatte auf unbestimmte Zeit Freihandel sorgt für Eklat

BRÜSSEL/STRASSBURG · Es sollte ein starkes Signal des Europäischen Parlamentes zum umstrittenen Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA werden. Aber heraus kam gestern in Straßburg ein fast schon beispielloser Eklat. "Mir macht es Angst, wenn ich sehe, wie die Links- und die Rechtsradikalen hier im Haus sich gegenseitig in Rage reden und die Grünen an der Seite dieser Leute stehen", schimpfte der Chef der christdemokratischen EVP-Mehrheitsfraktion, Manfred Weber (CSU).

 Deutliches Signal: Abgeordnete, die gegen das Abkommen sind, protestieren im EU-Parlament.

Deutliches Signal: Abgeordnete, die gegen das Abkommen sind, protestieren im EU-Parlament.

Foto: DPA

Daraufhin keilte die Chefin der Grünen-Fraktion, Rebecca Harms, zurück: "Wenn jetzt jeder, der kritisch gegen private Schiedsgerichte ist, als links- oder rechtsradikal an den Pranger gestellt wird, dann frage ich mich, was für eine Basis der Zusammenarbeit wir haben." Es fielen auch weniger zitierfähige Worte.

Dabei hatte der Krach bereits am Vorabend mit einer Entscheidung von Parlamentspräsident Martin Schulz begonnen. Der SPD-Politiker stoppte eine mühsam zwischen den Fraktionen ausgehandelte Resolution vor der Abstimmung, weil rund 100 neue Änderungsanträge eingegangen waren. Die Geschäftsordnung des Plenums (Artikel 175) gibt ihm dieses Recht, sobald mehr als 50 Wünsche zur Nachbesserung vorliegen.

Gestern Morgen folgte Teil zwei des Debakels. Christdemokraten und Liberale wollten, wenn es schon keine Abstimmung gab, auch keine Debatte führen. Als 183 Abgeordnete den Antrag unterstützten (181 votierten dagegen), brach der Tumult los. Herbert Reul, Vorsitzender der CDU-Gruppe im EU-Parlament: "Der heutige Tag zeigt, dass im Europa-Parlament ohne eine konstruktive Zusammenarbeit zwischen Christ- und Sozialdemokraten keine stabilen Mehrheiten möglich sind." Tatsächlich stand der Vorsitzende des wichtigen Handelsausschusses, der Sozialdemokrat Bernd Lange, regelrecht zwischen den Fronten. Dabei hatte er den "guten Kompromiss" der Fraktionen in seinem Gremium noch vor wenigen Tagen hochgelobt.

Schließlich wollten die Abgeordneten den weiteren TTIP-Verhandlungen klare Fesseln anlegen: Kommunale Dienstleistungen der allgemeinen Daseinsvorsorge sollten ausgeklammert werden. Die Volksvertretung wollte man bei den gemeinsamen Industriestandards als Entscheidungsgremium verankern. Nur bei den umstrittenen Schiedsverfahren gab es weiter Meinungsverschiedenheiten. Während die Christdemokraten für eine, allerdings stark überarbeitete, transparente und öffentliche Variante der bisherigen Geheimgerichte eintraten, forderten die Sozialdemokraten deren vollständige Abschaffung - ersatzweise eine Zuständigkeit der nationalen Höfe oder die Installation eines internationalen Handelsgerichtshofes.

Doch die Einigung im Ausschuss hielt nicht lange, über 100 Änderungsanträge für eine Resolution vor dem Beschluss im Plenum sind zwar nicht selten. Aber sie reichten eben auch nicht für die sonst übliche "Große Koalition" in der Volkskammer. Die Resolution muss im Handelsausschuss wieder aufgeschnürt werden, die Debatte wurde unter Protest auf unbestimmte Zeit verschoben.

Beifall gab es dafür vom Bundesverband der Deutschen Industrie. Dessen Präsident Ulrich Grillo sagte gestern, es sei positiv, dass man sich noch einmal mit den vielen Änderungswünschen beschäftige. Das müsse allerdings "hoffentlich zeitnah" geschehen, um die Verhandlungen mit den USA nicht aufzuhalten.

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