Lage in Ägypten Angst vor dem großen Knall

KAIRO · Außenminister Guido Westerwelle setzt bei seinem schwierigen Ägypten-Besuch auf eine Politik der kleinen Schritte. Guido Westerwelle ist jetzt bereits seit Stunden durch einen wahren Gesprächsmarathon gehetzt und geschoben worden. Besuch beim Außenminister der ägyptischen Übergangsregierung, Nabil Fahmi, Treffen mit Übergangspräsident Adli Mansur, Gespräch mit Übergangs-Vizepräsident Mohamed ElBaradei. Die Lage in Ägypten ist ernst.

 Außenminister Guido Westerwelle verabschiedet sich von Ägyptens erstem Verteidigungsminister General Abdel Fattah al-Sisi.

Außenminister Guido Westerwelle verabschiedet sich von Ägyptens erstem Verteidigungsminister General Abdel Fattah al-Sisi.

Foto: dpa

Beim neuen starken Mann des Landes, Armeechef Abdel Fattah al-Sisi, müssen sich der Gast aus Berlin und der neue ägyptische Verteidigungsminister wohl länger in die Augen gesehen haben. Später heißt es, Westerwelle und al-Sisi hätten ein "sehr ernstes, langes Gespräch" geführt - mit "klaren Botschaften". Ein Land steht auf der Kippe. Und Westerwelle betont, es gehe dabei nicht um irgendeines. Ägypten sei ein "Schlüsselland für die gesamte Region". Und: "Das ist unser Nachbar."

Gerade sitzt der deutsche Außenminister auf einer Konferenzebene des Delegationshotels mit Vertretern der Muslimbrüder zusammen, die ihre Partei Freiheits- und Gerechtigkeitspartei nennen. Mohamed Ali Bishr, ehemaliger Minister für Lokalverwaltung, und Amr Darrag, ehemaliger Minister für Planung und internationale Zusammenarbeit, reden auf Westerwelle ein. Wie eigentlich in allen diesen Gesprächen muss der deutsche Außenminister darauf achten, sich nicht vereinnahmen zu lassen. Das wäre das Ende seiner Vermittlermission gegen einen drohenden Bürgerkrieg in Ägypten, wozu er als erster westlicher Außenminister nach dem Umsturz nach Kairo geflogen ist. Eine Reise, eng abgestimmt mit den Partnern in Europa, den USA und relevanten arabischen Staaten.

Während Bishr und Darrag jedenfalls von den Motiven ihrer Muslimbrüder für deren Protestcamps an der Raba-al-Adawija-Moschee und an der Universität Kairo erzählen, steht ein Mann etwa einen guten Kilometer weiter am Tahrir-Platz und analysiert gleichfalls die Lage. Hussein Majdi, Mitglied der "Tamarrod"-Bewegung gegen die Muslimbrüder mit ihrem gestürzten Präsidenten Mohammed Mursi, sagt: "Wir respektieren die Muslimbrüder."

Wie bitte? Aber die Muslimbrüder müssten sich schon entscheiden, ob sie Politik machten oder vor allem für ihre Religion eintreten wollten. Als Politiker müssten sie Politiker sein und keine religiösen Eiferer. Mursi, den Majdi nach eigenen Angaben von der gemeinsamen Zeit an der Universität kennt, habe er zu dessen Amtsantritt drei Dinge gesagt: Erstens: Er müsse der Präsident aller Ägypter sein. Zweitens: Er müsse immer daran denken, wofür die Ägypter auf die Straße gegangen seien: für Freiheit, Demokratie und Bildung. Drittens: Wenn ein Land keine Gesetze achte, werde dies das Land zerstören.

Nun steht Ägypten gerade vor dem Zerfall des staatlichen, vor allem des gesellschaftlichen Zusammenhalts. "Tamarrod"-Anhänger Majdi sagt in der ungewöhnlichen Ruhe des immer noch abgesperrten Tahrir-Platzes den heutigen Samstag voraus, wenn Polizei und Armee angeblich die Protestcamps der Muslimbrüder räumen werden. Was danach kommt, weiß niemand. Westerwelle erwartet wegen der extrem angespannten Lage in Kairo eine Entwicklung, die niemand vorhersagen kann. Selbst ein Abbruch seiner Reise hätte, je nach Eskalationsstufe, womöglich zur Debatte stehen können. Er hat diese Mission doch noch zu Ende gebracht. Und die nächsten Krisendiplomaten aus dem Westen stehen vor der Tür an. Die Konfliktparteien sollen keine Zeit bekommen, die Krise weiter anzuheizen.

Auf dem Weg zum Flughafen stoppt Westerwelles Wagenkolonne noch einmal in einem Neubaugebiet am Rande von Kairo. Der Außenminister trifft dort einen Mann mit Namen Abdel Moneim Abu El Futu, den Vorsitzenden der Misr El Kaweya Partei, die für ein starkes Ägypten eintritt. El Futu, einst Muslimbruder und von der Partei 2011 ausgeschlossen, hatte 2012 auf neuer Liste für das Präsidentenamt kandidiert und dabei rund 17 Prozent der Stimmen geholt. Westerwelle setzt auf eine Annäherung der Konfliktparteien in kleinen Schritten. Womöglich kann El Futu beim nächsten kleinen Schritt für Frieden helfen. Ihr Gespräch im Souterrain hätte sich gelohnt.

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