Kommentar Afghanistan - Klare Botschaft

Sollte die Zahl stimmen, haben am Samstag sieben Millionen Afghanen der politischen Klasse des Landes und den radikalislamischen Talibanmilizen eine klare Botschaft gegeben. Vorsicht ist geboten, weil die Wahlkommission gerne übertrieben hohe Angaben macht.

Aber die Afghanen in den Städten des Landes bewiesen am Samstag, dass sie sprichwörtlich jede Art von Wahl allen anderen Arten des Machtwechsels vorziehen. Sie haben das Gerede als dummes Geschwätz entlarvt, das in westlichen Ländern wie Deutschland (Schweiz, Österreich) den Afghanen mangelndes demokratisches Verständnis und mangelnde demokratische Kultur unterstellt. Die Afghanen, die wählten, zeigten zudem den radikalislamischen Talibanmilizen, dass Kalaschnikows als politisches Argument am Hindukusch ausgedient haben.

Dabei machen sich die Afghanen keine Illusionen. Sie wissen, dass der Krieg weitergeht. Laut einer seriösen Studie gingen mindestens 46 Prozent mit dem Bewusstsein zur Urne, dass die dritte Präsidentschaftswahl seit 2001 und die letzte vor dem Abzug westlicher Kampftruppen Ende Dezember wahrscheinlich so verfälscht wird wie die bisherigen Urnengänge am Hindukusch.

[kein Linktext vorhanden]Leider erhärten erste Indizien den Verdacht. Denn am Samstag hinderten nicht die radikalislamischen Talibanmilizen mit ihren Attacken viele Afghanen an der Stimmabgabe, sondern die Wahlkommission IEC. Sie rationierte die Stimmzettel. Geplant oder ungewollt nivellierte der Wahlrat auf diese Weise die Unterschiede in der Wahlbeteiligung. Die Leidtragenden waren Abdullah Abdullah, dessen Bastionen besonders im Norden angesiedelt sind, und Ashraf Ghani, ein früherer Finanzminister. Beide erzielten dennoch die besten Resultate von den acht teilnehmenden Kandidaten.

Abdullah und Ghani kennen ebenso wie Salmai Rassul, der Lieblingskandidat des bisherigen Präsidenten Hamid Karsai, dank ihrer Delegierten in den Wahllokalen seit Sonntagmorgen das vorläufige Ergebnis. Hinter den Kulissen gab es schon vor der Wahl Sondierungen, per Verfassungsänderungen neben dem Amt des Präsidenten die Stelle eines Premierministers zu schaffen. Die Idee klingt vernünftig, weil auf diese Weise eine Art Regierung der Nationalen Einheit entstehen würde, die nicht nur Sieger und Verlierer, sondern auch die Führer aller ethnischen Gruppen befriedigt.

Denn der 30 Millionen Einwohner zählende Staat am Hindukusch steht vor großen Herausforderungen. Der "Cold Turkey", die Entzugserscheinungen des westlichen Rückzugs vom Hindukusch, schmerzt bereits. Es fließt weniger Geld nach Afghanistan. Das Land schlittert laut Weltbankprognosen spätestens im Juni, also inmitten der politischen Übergangsphase, ins negative Wachstum ab. Im Klartext: Die Ökonomie schrumpft bereits.

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