Analyse: Klärung von Todesflug MH17 kommt nicht voran

Donezk · Felder voller meterhoher Sonnenblumen reichen bis zum Horizont, darüber der blasse Himmel. Es sind die Nationalfarben der Ukraine, gelb und hellblau. Die Landschaft könnte kaum friedlicher wirken. Doch mittendrin in diesem Sommerparadies finden sich Orte wie aus der Apokalypse.

Nach dem Absturz von Flug MH17 liegen die sterblichen Überreste von Passagieren und Crew-Mitgliedern in Feldern, Wäldern und auch manchem Garten. Selbst drei Tage nach der Tragödie sind noch immer Dutzende Leichen nicht geborgen.

Am Absturzort des malaysischen Passagierflugzeugs mitten im ostukrainischen Kriegsgebiet zählt das Wort der Vereinten Nationen nicht viel. Maskierte Separatisten bewachen das Trümmerfeld mit Waffengewalt und schneidenden Befehlen. Zwar fordert der Weltsicherheitsrat mit Nachdruck den freien Zugang unabhängiger Ermittler zum Wrack. Aber der UN-Sitz in New York scheint an diesem heißen Juli-Tag noch weiter weg zu sein als 8000 Kilometer Luftlinie.

"Das Problem ist, dass es keine Absperrung des Ortes gibt, wie sonst üblich. Jeder kann da rein und womöglich mit Beweisstücken herumhantieren", sagte Michael Bociurkiw von der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) dem US-Sender CNN. Offen räumt ein Sprecher der prorussischen Aufständischen ein, dass die "Volkswehr" die Absturzstelle gezielt nach elektronischen Geräten absuche. Alles werde zurückgegeben, verspricht er. Der ukrainische Sicherheitsrat berichtet vom angeblichen Missbrauch von Kreditkarten getöteter Passagiere. Eine Bestätigung dafür gibt es zunächst nicht.

Inmitten der Donbass-Idylle liegen die Trümmer von MH17 auf etwa 35 Quadratkilometern verstreut. Das entspricht in etwa der Größe der Nordseeinsel Borkum. Die Beobachter der OSZE sollen dort zumindest das Nötigste an Beweisen sichern, bevor professionelle Ermittler die Wrackteile der Boeing 777-200 untersuchen. Doch die Separatisten zeigen wie schon in den Monaten zuvor, dass sie die neuen Herren im Konfliktgebiet sind. Sie lassen eigenmächtig fast 200 Leichen in Kühlwaggons der Eisenbahn abtransportieren und beschlagnahmen nach eigenen Angaben auch Flugdatenschreiber und Stimmenrekorder.

Über dem Chaos stehen weiter viele nicht eindeutig geklärte Fragen: Wurde das Flugzeug auf dem Weg von Amsterdam nach Kuala Lumpur abgeschossen - und falls ja, von wem? Wer hat die Mittel, die Maschine in etwa 10 000 Meter Höhe zu treffen? Und vor allem: Wer hat ein Motiv? "Wir besitzen kein geeignetes Kriegsgerät", sagt Separatistenanführer Fjodor Beresin der russischen Zeitung "Moskowski Komsomolez".

Die Aufständischen geben dem ukrainischen Militär die Schuld. Hingegen sind sich der Westen und die Führung in Kiew ziemlich sicher, dass die Separatisten die todbringende Boden-Luft-Rakete abgefeuert haben - mit einem von Russland über die Grenze geschmuggelten Flugabwehrsystem vom Typ "Buk".

Bundeskanzlerin Angela Merkel, der französische Präsident François Hollande und der britische Premierminister David Cameron drohen am Sonntag Russland mit einer weiteren Verschärfung der EU-Sanktionen. Kremlchef Wladimir Putin müsse mehr zur Entspannung des Konflikts in der Ukraine unternehmen, sonst habe dies beim EU-Außenministerrat am Dienstag "Konsequenzen", heißt es. Doch hilft dies, die möglichen Täter ausfindig zu machen? Viele in Kiew beschleicht das Gefühl, dass auch diesmal die Verantwortlichen davonkommen könnten.

Die Krise im zweitgrößten Flächenstaat Europas, die sich einst am Streit um eine EU-Annäherung entzündete, hat sich in den vergangenen Monaten massiv radikalisiert. Seitdem gab es Tausende Opfer - aber nur wenige der Täter wurden bestraft. Bis heute sind die Todesschüsse auf mehr als 100 Demonstranten und Polizisten auf dem Unabhängigkeitsplatz (Maidan) in Kiew ungesühnt. Und auch der Feuertod von 48 Menschen bei Ausschreitungen in der Hafenstadt Odessa ist weiter nicht aufgeklärt. Folgt nun der Absturz der Boeing?

Dieser Fall liege anders, meinen politische Beobachter. Fast 200 der rund 300 Opfer sind Niederländer, und Regierungschef Mark Rutte betont, dass er alles unternehmen werde, um Licht ins Dunkel zu bringen. Das habe er Putin in einem "sehr intensiven" Telefonat klargemacht, sagt Rutte. Der Druck des Westens, meinen Experten, sei die einzige Hoffnung, die Wahrheit zu erfahren über den Todesflug MH17.

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