Zwischen Service und Desaster: Rückrufe häufen sich

Tokio · Vor lauter Rückrufen kommt die Autobranche derzeit kaum zum Durchatmen. Nach General Motors holt jetzt Weltmarktführer Toyota Millionen Fahrzeuge in die Werkstätten. Werden unsere Autos immer unsicherer - oder gibt es weniger dramatische Gründe?

Nun also wieder Toyota. Mehr als sechs Millionen Fahrzeuge ruft der weltgrößte Autobauer wegen verschiedener Mängel in die Werkstätten. Mal kann der Fahrersitz beim Verstellen streiken, mal droht ein Airbag zu versagen - quer durch die Modellpalette hakt es an fünf verschiedenen Stellen. Neu ist das Thema längst nicht mehr: Gerade noch beherrschte General Motors (GM) mit defekten Zündschlössern und tödlichen Unfällen die Schlagzeilen, Ende 2013 war es Volkswagen mit mehr als 2,6 Millionen betroffenen Wagen. Wird Autofahren gefährlicher?

Nicht unbedingt. Denn die schiere Menge beanstandeter Autos hängt in erster Linie mit den Produktionsstrategien der Hersteller zusammen. Um die Fertigung einfacher zu machen und durch Großbestellungen bessere Preise beim Einkauf auszuhandeln, setzen praktisch alle Konzerne auf identische Bauteile in verschiedenen Modellen. Das sorgt zwar für höhere Gewinne pro verkauftem Auto - birgt aber eine Gefahr: Tauchen bei einer Komponente nur kleine Fehler auf, kann das mit einem Schlag zum Rückruf der halben Modellpalette führen. Bei VW etwa wurde ein zurückgerufenes Getriebe in den fünf absatzstärksten Konzernmarken verwendet.

Dieser Trend ist kaum umzukehren. "Wenn in Zukunft neue Rückrufe kommen, werden sie in der Tendenz immer größer werden", sagt Autofachmann Ferdinand Dudenhöffer. "Bei allen Autobauern sind so hohe Rückrufzahlen wie bei Toyota denkbar - auch bei den deutschen Herstellern." Bei BMW etwa stieg die Zahl betroffener Autos zuletzt, obwohl der Konzern weniger Rückrufaktionen hatte.

Das Risiko für Rückrufe steige, hieß es auch in einer im März veröffentlichten Untersuchung des Center of Automotive Management in Bergisch Gladbach. Die Gründe: Immer mehr gleiche Bauteile, eine höhere technische Komplexität und schnellere Entwicklungszyklen. Den Großteil der Probleme bereiteten Elektronik und Sicherheitssysteme wie Airbags, gefolgt von Mängeln beim Antriebsstrang.

Zu unterscheiden ist aber, wie bedrohlich die Mängel sind. Vom Ausfall des Scheibenwischermotors dürfte kaum eine Gefahr für Leib und Leben ausgehen. Bei solchen Fällen geht es den Herstellern eher darum, den Kunden schnell zur Seite zu stehen und bei kleineren Macken unkompliziert Abhilfe zu schaffen.

Springt dagegen der Schlüssel im Zündschloss um und würgt den Motor mitten in der Fahrt ab, wird es kritisch. Mindestens 13 Menschen starben bei Unfällen, weil genau das in Autos von General Motors passierte. Die Opel-Mutter soll sogar Jahre von dem Problem gewusst haben. Konzernchefin Mary Barra wurde daher jüngst vor dem US-Kongress ins Kreuzverhör genommen.

Diesen Gang musste schon Toyota-Chef Akio Toyoda vor vier Jahren antreten. Der Vorwurf: klemmende Bremspedale hätten tödliche Crashs verursacht. Zwar sprachen spätere Gutachten den Hersteller frei - doch die Unfälle ramponierten das Image der zuverlässigen Japaner. Denn auch Toyota stand im Verdacht, Mängel verschleiert zu haben. Vor Kurzem zahlten die Japaner 1,2 Milliarden Dollar, um ein noch laufendes Verfahren abzuschließen.

Mit dem jetzigen Rückruf will das Unternehmen laut Analysten auch zeigen, dass man aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt hat und nun vorausschauend handelt. Der Konzern stellt eine lückenlose Qualitätsgarantie seiner Produkte inzwischen über das große Ziel, Verkaufsweltmeister der Branche zu bleiben.

Das Unternehmen, das Entscheidungen traditionell in der Zentrale in Japan trifft, will den regionalen Managern mehr Einfluss und Befugnisse bei Rückrufentscheidungen einräumen. So will man schneller auf Kundenbeschwerden reagieren. Dass Toyota bei dem neuesten Rückruf gleich mehrere Fälle gesammelt hat, spricht außerdem dafür, dass man die Angelegenheit zügig in einem Abwasch vom Tisch haben will.

Wie Toyota predigt auch VW-Chef Martin Winterkorn das Bekenntnis zu kompromissloser Qualität und betont die Bedeutung einer "Null-Fehler-Toleranz" im Wolfsburger Konzern. Auf weiteres Wachstum will aber niemand verzichten. Und so könnte der Expansionskurs der Branche Hand in Hand mit noch umfassenderen Rückrufen gehen, die große Zahlen zur Normalität machen könnten.

Große Rückrufaktionen in der AutobrancheMärz 2014: General Motors weitet die Rückrufaktion wegen Problemen an Zündschlössern aus. Betroffen sind mittlerweile rund 2,6 Millionen Fahrzeuge. Sie wurden meist in den USA und Kanada verkauft. Der Konzern muss sich für mindestens 13 Tote und 31 Unfälle verantworten.

November 2013: Volkswagen holt über 2,6 Millionen Autos in die Werkstätten. Weltweit gibt es Qualitätsprobleme. Im selben Monat treten wegen diverser Rückrufaktionen des südkoreanischen Autobauers Hyundai drei Manager zurück.

Juni 2013: Chrysler startet einen massenhaften Rückruf in den USA. Die Verkehrssicherheitsbehörde hatte gefordert, 2,7 Millionen ältere Jeep Grand Cherokee und Jeep Liberty zu prüfen - Tanks könnten bersten, wenn die Geländewagen gerammt würden.

April 2013: Japanische Autobauer rufen weltweit über 3 Millionen Fahrzeuge zurück. Die meisten Modelle sind von Toyota, Honda und Nissan. Es geht um Airbags des japanischen Zulieferers Takata.

Oktober 2012: Fast 7,5 Millionen Autos weltweit ruft Toyota wegen Problemen mit elektrischen Fensterhebern zurück.

Januar 2011: Toyota ruft weltweit rund 1,6 Millionen Wagen zurück. Als Grund werden Probleme an der Kraftstoffleitung genannt.

Oktober 2010: Nissan holt weltweit gut 2,1 Millionen Wagen zurück, vor allem in Nordamerika und Japan. Bei den Autos kann wegen eines Relais-Defekts der Motor während der Fahrt ausgehen.

Januar 2010: Klemmende Gaspedale entwickeln sich für Toyota zu einem Desaster. Der Konzern muss mehrere Millionen Autos zurückrufen. Das gedrückte Gaspedal kann festhängen. Im selben Jahr kommt es zu weiteren Rückrufaktionen des Herstellers wegen anderer Probleme.

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