Internet "Pures Adrenalin" - Spannende Wahlnacht auf Twitter

Berlin/Washington · Hohe Wellen hat der Wahlsieg Obamas im Internet geschlagen. Künftig könnte Twitter bei Wahlen eine ähnliche Rolle spielen wie Meinungsumfragen. Nächster Test ist die Bundestagswahl.

Das Netz hat es schonvorher gewusst: Seit dem 30. Oktober lag US-Präsident Barack Obamaim Twitter-Index vorn, mit dem der Betreiber des Internet-Dienstestäglich mehrere hunderttausend Tweets zum Wahlkampf analysiert hat.Positive und negative Äußerungen zu den beiden Kandidaten BarackObama und Mitt Romney wurden dort auf einer Skala von 0 bis 100bewertet. "Es scheint so, dass Twitter ein verlässlichesPrognose-Instrument für die Präsidentschaftswahl gewesen ist", sagtdie kalifornische Politikwissenschaftlerin Jennifer Ramos derNachrichtenagentur dpa.

Dazu müssten allerdings noch genauereStudien geführt werden. Sofern in Betracht gezogen werde, dass derInternet-Dienst vor allem von jüngeren Bürgern mit relativ hoherBildung genutzt werde, könnte Twitter durchaus für Wahlvorhersagenin Frage kommen und dabei eine ähnliche Verlässlichkeit wieMeinungsumfragen erreichen. Am Wahltag schwillt die Twitter-Flutstetig an. Mehr als 31 Millionen Tweets, kurze Äußerungen mit derBegrenzung auf 140 Zeichen, registriert der Dienst am Wahltag - einRekord für politische Ereignisse in den USA.

Kurz vor Schließungder Wahllokale setzt der US-Präsident einen letzten Wahlkampfaufrufab: "Lasst uns das jetzt gewinnen!" - von seinen Anhängern wurdedas mehr als 4000 Mal als "Favorit" markiert und rund 19.000 Malweiterverbreitet. Deutlich weniger Resonanz fand seinrepublikanischer Herausforderer Mitt Romney mit einem Foto beiseiner Stimmabgabe und der Feststellung: "Das war's, stellt sicher,dass ihr heute wählt."

In den ersten Stunden nach Schließung derWahllokale an der Ostküste sitzen die US-Bürger vor denFernsehgeräten. Romney gewinnt die ersten der 50 US-Staaten fürsich, aber noch ist nichts Entscheidendes passiert. Der Weg zu denfür einen Sieg erforderlichen 270 Wahlmännerstimmen ist weit.Smartphone, Tablet-Computer oder Notebook dienen als "SecondScreen": Auf dem zweiten Bildschirm werden die im Fernsehenverfolgten Informationen kommentiert, die Anhänger beider Lagersprechen sich Mut zu.

Die meisten Tweets bringen entwederRatlosigkeit oder Hoffnung zum Ausdruck. Obama oder Romney?Stundenlang ist die Antwort unklar, die Spannung steigt. Alsbereits 15 Staaten ausgezählt sind, ohne eindeutig erkennbareTendenz, twittert der Texaner Gabe Williams: "Ich habe das Gefühl,als ob mein Magen explodiert. Die Spannung ist riesig!" Für RyanSeacrest ist die Wahlnacht "pures Adrenalin".

Etlichen US-Bürgernist die Aufregung erkennbar zu viel. Cayla Cook aus Tennesseebittet schließlich: "Kann ich nicht einfach nach Deutschlandumziehen?" Da mobilisiert Obama noch einmal die letzten Reserven -schließlich sind die Wahllokale nur an der Ostküste geschlossen, imWesten sind sie weiter geöffnet. "Letzte Chance, um dabei zuhelfen, diese Wahl zu gewinnen: Greift zum Telefon und ruft Wählerin Schlüsselstaaten an!"

Die Wahlnacht treibt einer Entscheidungzu. Es sehe nicht gut aus für Romney, wird getwittert. Gegen 11.19Uhr Ortszeit (5.19 Uhr MEZ) schlagen die Fernsensender NBC und Foxin ihren Berechnungen die entscheidenden Staaten Obama zu. Bevorder neue und alte Präsident vor den Kameras erscheint, jubelt erganz bescheiden auf Twitter: "Vier weitere Jahre" - dazu fügt erein Foto bei, das ihn selbst zeigt, in einer innigen Umarmung mitseiner Frau Michelle. Jetzt laufen die Server heiß.

Twittertransportiert um 11.19 Uhr exakt 327.453 Tweets mit Bezug zur Wahl.Obama habe im Wahlkampf wesentlich mehr Erfahrung mit denInternet-Medien bewiesen, sagt Politikwissenschaftlerin Ramos.Künftig würden Politiker aller Parteien ihre Kompetenz im Netzweiter verbessern.

Das wird sich wahrscheinlich auch schon imnächsten Jahr zeigen, wenn in Deutschland ein neuer Bundestaggewählt wird. Der netzpolitische Sprecher derGrünen-Bundestagsfraktion, Konstantin von Notz, ist sich sicher:"Ganz klar wird Twitter den kommenden Wahlkampf beeinflussen."

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort