Joachim Löw Der Trainer ist der Star

DANZIG · In Ermangelung eines wirklich herausragenden deutschen Spielers in der Nationalmannschaft wird während der Fußball-Europameisterschaft in Polen und der Ukraine eben Bundestrainer Joachim Löw gefeiert.

Joachim Löw musste sich kurz sammeln. Die Frage schien ihm ein wenig unpassend zu sein zwei Tage vor dem EM-Halbfinale gegen Italien (Donnerstag, 20.45 Uhr, ARD): Wie er es denn empfinde, wenn überall von "Jogi Superstar" zu lesen sei und darüber, dass er sexy rüberkomme. "Das einzige, was ich anstrebe", betonte Löw pointierter als sonst, "ist der Erfolg."

Fast hätte man es vergessen. Es geht um den EM-Titel, und morgen werden vielleicht 30 Millionen Deutsche vor den Fernsehern sitzen. Die DFB-Fußballer spielen gut, haben vier Mal gewonnen, aber gefeiert wird vor allem der Trainer. Sein Auftreten und sein Aussehen kaum weniger als seine Entscheidungen. Nach dem Papst und Eisbär Knut hat das Land einen neuen Liebling.

Dabei ist Löw keineswegs auf Stimmenfang gegangen. Eher im Gegenteil. Ungewöhnlich direkt, mit einer Prise Arroganz vielleicht sogar, äußerte er sich einige Male über den unterlegenen Gegner. "Mit manchem, was wir gemacht haben, waren sie überfordert", gab er den Griechen mit auf den Weg. "Denen ist wenig eingefallen. Teils hatte ich das Gefühl, sie sind mit ihrer Kraft am Ende", schickte er den Holländern hinterher. Der Bundestrainer strahlt ein unerhörtes Selbstbewusstsein aus, neben der Popularität steigt deshalb auch die Fallhöhe stetig.

Auch intern hat es Löw längst nicht mehr nötig, sich beliebt zu machen. Er ist der Chef und kann es sich unwidersprochen leisten, unangenehme Entscheidungen zu treffen. Miroslav Klose, Per Mertesacker, Lukas Podolski, Thomas Müller und Mario Gomez setzte er auf die Bank, ohne dass einer stänkerte. Wie auf Knopfdruck kommen dann die verständnisvollen Äußerungen der Spieler, die in etwa so klingen: "Natürlich würde ich lieber spielen, aber der Bundestrainer wird schon seine Gründe haben." Kapitän Philipp Lahm spricht von einem "absoluten Vertrauensverhältnis", von "respektvollem Umgang" und einer "menschlichen Basis", die im Lauf der Jahre entstanden sei.

Bei alledem kommt Löw sogar bei der Konkurrenz gut an. Er sei ein "eleganter Mann, der sowohl im Moment des Sieges als auch der Niederlage die Fassung behält", urteilte Spaniens Coach Vicente del Bosque. Den Respekt der Kollegen hat sich der Deutsche ohnehin längst erworben. Wie bei kaum einem anderen wird Löws Handschrift deutlich: keine Fouls, vertikales und flaches Kombinationsspiel.

Vielleicht ist der Trainer auch deshalb der Star, weil sich noch keiner seiner Spieler zum Star aufgeschwungen hat. Mario Gomez startete furios, fand sich aber zuletzt auf der Bank wieder. Miroslav Klose startete überhaupt nicht und setzte erst gegen die Griechen ein Ausrufezeichen. Mesut Özil macht immens viel, findet aber im dichten gegnerischen Abwehrgestrüpp nicht so viele Lücken wie erhofft. Bastian Schweinsteiger ist auf der verzweifelten Suche nach Rhythmus und konstanter Form.

Wäre Schweinsteiger der Star, Löw hätte nichts dagegen. Er hegt und pflegt seinen Lenker, wie er es mit keinem anderen täte. "Wir brauchen Bastian Schweinsteiger", betonte er gestern erneut. "Er ist der emotionale Leader und in den vergangenen Jahren unglaublich reif geworden." Dass das lädierte Sprunggelenk einen Einsatz gegen Italien verhindern könnte, glaubt der 52-Jährige nicht: "Das kriegen wir hin."

Bis auf weiteres feiert Löw deshalb die Ersatzspieler als Stars. "Wir sind auch deshalb so gut, weil die, die nicht spielen, so viel Qualität ins Training bringen", betonte er. Dass es sich lohnen kann, in den Übungseinheiten Gas zu geben, haben die bisherigen Spiele gezeigt. André Schürrle und Marco Reus katapultierten sich schon in die Startelf, Klose kämpfte sich in den erlesenen Kreis zurück. "Es ist durchaus denkbar, dass es erneut Veränderungen gibt", kündigte Löw nun an. Greifen sie wie in den Spielen zuvor, wird der Rummel um den Bundestrainer nicht nachlassen.

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