Kommentar zum Deutschen Team Löw in freier Wildbahn

Meinung · Für junges, aufstrebendes Personal ist es äußerst kompliziert, sich einen Platz in der gehobenen Hierarchie der deutschen Nationalmannschaft zu verdienen, findet Guido Hain.

In langen Jahren des unternehmerischen Mitwirkens schleichen sich, Branchen unabhängig, bestimmte Verhaltensmuster ein, Mechanismen, Automatismen. Manchmal gehen dann Reflexe und Instinkte und der Mut zum Risiko verloren. Ein wenig lässt sich die Situation vergleichen mit jener des Fußballtrainers Joachim Löw, der seit zehn Jahren als Leitender Angestellter des DFB fungiert. Sein Vertrauen in verdiente Mitarbeiter ist durch eine beispiellose Unerschütterlichkeit geprägt. Das ist zunächst einmal gut für die Mitarbeiter, sie können sich sorgenfrei ihrer Ressortaufgabe widmen. Seit Jahren prägt die Generation der Neuers, die auch Özil und Müller heißen, Spiel und Stil der Nationalmannschaft. Vor vier Jahren gelangte sie zu Weltruhm.

Für junges, aufstrebendes Personal ist es seitdem äußerst kompliziert, sich einen Platz in der gehobenen Hierarchie zu verdienen. Das gelang etwa mit Kimmich und Werner, bedingt durch die Rücktritte von Weltmeistern, nur wenigen Talenten. Zuletzt wurde jedoch deutlich, dass die alternde Gesellschaft auch und gerade im Fußball zum Problem werden kann. Nicht erst das Auftaktspiel gegen Mexiko führte der Nation die nachlassende Arbeitskraft ihrer Spitzenkräfte vor Augen. Die Frage musste aber schon vor der WM lauten: Können die Arrivierten Tempo und Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt noch standhalten? Die Antwort: Wohl nicht alle in angemessener Weise? Dass sich auch Löw in der zweiten Partie gegen Schweden dieser Frage widmete, entbehrte zwar nicht eines gewissen Risikos. Der Versuch, Sami Khedira und Mesut Özil durch frisches Personal zu ersetzen, erwies sich aber als hilfreich.

Ohnehin erweckte Löw gerade den Eindruck, seinen Ursprüngen als Fußballehrer wieder mehr Aufmerksamkeit widmen zu wollen. Seine Coaching-Eingriffe gegen Schweden trug er mit Vehemenz vor. Mit der Einwechslung von Mario Gomez brachte er mehr Durchschlagskraft ins deutsche Spiel. Es wird spannend sein zu beobachten, wie Khedira und Özil den Kampf um die Plätze annehmen werden. Sicher sein können sie sich jedenfalls nicht, ihren angestammten Arbeitsplatz im Unternehmen nach dem Warnschuss des Vorgesetzten zurückzubekommen. Wie es scheint, hat Löw seinen sicheren Platz auf dem Hochsitz verlassen, um sich in die freie Wildbahn zu begeben. Ob das rechtzeitig geschah, wird sich zeigen.

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