Boxen in Selhof Beim ATV wird geboxt - unabhängig von Herkunft, Geschlecht oder Bildung

BAD HONNEF · Sie kommen aus unterschiedlichen Ländern. Sie haben unterschiedliche Hautfarben. Sie wohnen in unterschiedlichen Städten und gehen auf unterschiedliche Schulen. Und unter den Jungs ist auch ein Mädchen. Aber sie alle eint eines: die Liebe zum Boxen. Das Angebot des Allgemeinen Turnvereins (ATV) Selhof war nicht als Integrationsprojekt geplant. Aber es ist eines geworden. Derzeit trainieren dort rund 70 aktive Boxerinnen und Boxer aus mehr als 13 Nationen.

 Hartes Training: Jeden Montag kommt Abdulhakim Salim Yeslim, genannt Sunny, in die Sporthalle an der Kapellenstraße in Bad Honnef-Selhof.

Hartes Training: Jeden Montag kommt Abdulhakim Salim Yeslim, genannt Sunny, in die Sporthalle an der Kapellenstraße in Bad Honnef-Selhof.

Foto: Frank Homann

Montagabend in Selhof. In dem Gebäude, das von Außen kaum als Turnhalle zu erkennen ist, laufen sich die Boxer warm. Elf sind es momentan, die an Wettkämpfen teilnehmen. Mit Liridon Klinaku haben die ATVler sogar einen Sportler in ihren Reihen, der für Hanau in der zweiten Liga boxt. Die übrigen sammeln ihre Wettkampferfahrung bei Nachwuchsturnieren und Meisterschaften im In- und Ausland. Auf den ersten Blick eine bunt zusammengewürfelte Truppe. Auch auf den zweiten Blick.

Abdulhakim Salim Yeslim, genannt Sunny, und sein Bruder Benjamin zum Beispiel sind dunkelhäutig. Jagoda Penava ist das einzige Mädchen. Während sie sich aufwärmt und die Fäuste bewegt, lacht sie. Die Kroatin, deren Eltern aus Bosnien-Herzegowina stammen, hat sich den Platz im Boxring erkämpft.

Nicht weil es Probleme mit den Jungs gegeben hätte, sondern weil sie zunächst ihre Mutter überzeugen musste, die Boxen für zu gefährlich hielt. "Aber ich wollte das schon immer, schon als kleines Mädchen", erzählt die 17-Jährige, die das Siebengebirgsgymnasium in Honnef besucht und seit zwei Jahren boxt.

Dass sie die einzige Frau unter den Wettkämpfern ist, macht ihr nichts aus. Sie fühlt sich akzeptiert und vor allem respektiert. Was einen gewissen Beschützerinstinkt bei den Jungs nicht ausschließt. Selbstverständlich bringen diese sie nach Hause, bevor man sich selbst auf den Heimweg macht.

Die 17-Jährige hilft im Gegenzug, falls nötig, dem einen oder anderen bei den Hausaufgaben. "Wir verstehen uns auch außerhalb des Trainings, unternehmen gemeinsam etwas." Sie hat über den Sport Freunde gefunden, die sie sonst wahrscheinlich nie kennengelernt hätte, sagt die 17-Jährige, die im vergangenen Jahr den zweiten Platz bei der NRW-Meisterschaft belegt hat. Trainiert werden die Wettkämpfer von Waldemar Zibart, aber auch Anke und Herbert Müller sind oft dabei.

Das Trainer-Ehepaar war es, das beim ATV anklopfte, ob nicht Interesse an einer eigenen Boxabteilung bestehe. "Warum nicht", habe man damals gedacht, erinnert sich der erste Vorsitzende Ulrich Hambuch. Eine Entscheidung, die er nie bereut hat. Sein einziges Problem: "Wir bräuchten eine größere Halle, um einen festen oder zumindest faltbaren Ring aufzustellen." Dafür reicht der Platz in der Halle an der Kapellenstraße nicht.

Hasan Kotaman wickelt sich zügig und zielstrebig die Bandagen um seine Hände. Der 16-Jährige boxt seit zweieinhalb Jahren und kommt aus der Türkei. "Beim Boxen habe ich gelernt, mein Temperament zu zügeln", sagt der Königswinterer Realschüler. "Ich kann mich abreagieren." Das harte Training? "Das ist kein Stress, das macht einfach nur Spaß", sagt er und stülpt sich die Boxhandschuhe über.

Sunny seht am Sandsack. Der 14-Jährige, dessen Mutter aus Somalia und dessen Vater aus Indien stammt, ist über seinen Bruder zum Boxen gekommen. Der steht im provisorischen Ring aus Seilen. "Wir verstehen uns hier alle super", sagt Sunny noch, bevor er zuschlägt.

Bis auf das Quietschen der Turnschuhe ist kaum etwas zu hören, die Jugendlichen gehen voller Konzentration an ihre Aufgaben heran. "Boxen setzt eine gehörige Portion Disziplin voraus", sagt Anke Müller, Trainerin und selbst Boxerin. Sowie Kondition und Technik. "Boxen steigert das Selbstbewusstsein, es hilft manchen aus ihrer Opferrolle heraus".

Anderen helfe es, ihre Aggressionen in den Griff zu bekommen. Der Sport tue den Jugendlichen gut, sie seien voll in Ordnung. So viel ist klar, auf ihre Truppe lässt sie nichts kommen. "Sollte aber einer draußen in böswilliger Absicht zuschlagen, würde Anke Müller ihn sofort rauswerfen", macht Vorstandsmitglied Florian Hambuch deutlich. Aber irgendwie gewinnt man den Eindruck, dass niemand es wagen würde, die zierliche Trainerin zu verärgern.

Wenn das Training beendet ist, packen Jagoda, Sunny und Hasan ihre Sporttaschen und werfen sie über ihre Schultern, necken sich im Rausgehen und lachen. Drei ganz unterschiedliche Lebensläufe, eine Leidenschaft.

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