Die neue Gold-Generation ist "Schikane" gewohnt

BONN · Die neue Generation Spitzensportler ist leidensfähig, um zu beweisen, dass sie sauber ist. Muss sie auch. Denn was jungen Leuten von den Anti-Doping-Organisationen zugemutet wird, ist mitunter die reine Zumutung.

 Ein sauberes Bild: Das wollen Fechter Matyas Szabo (Zweiter von rechts) und seine Partner im deutschen Weltmeisterteam abgeben.

Ein sauberes Bild: Das wollen Fechter Matyas Szabo (Zweiter von rechts) und seine Partner im deutschen Weltmeisterteam abgeben.

Foto: DPA

Prominentes Beispiel: Handball-Nationalspieler Michael Kraus, der am 10. Oktober 2014 um 5.58 Uhr zur Dopingkontrolle aus dem Bett geklingelt wurde. Kann vorkommen im Alltag eines Topathleten. Für den Betroffenen bloß blöde, dass es der Tag nach seiner Hochzeit war. Verständlich, dass Kraus den Zeitpunkt der Überprüfung als "sehr fragwürdig und schikanös" bezeichnete.

Das Vorkommnis von vor einem Jahr ist die Spitze des Eisberges - aber nicht geeignet, die Arbeit der in Bonn ansässigen Nationalen Anti Doping Agentur (Nada) zu diskreditieren. Sie gilt als eine der strengeren im weltweiten Vergleich. Und überraschende Dopingtests gehören nun mal zum notwendigen Repertoire der Doping-Polizei, auch wenn im Fall Kraus mehr Fingerspitzengefühl angebracht gewesen wäre.

Fecht-Weltmeister Matyas Szabo empfindet das Kontrollsystem als "ein nerviges, aber notwendiges Übel, das zum Sport gehört". Szabo hat Verständnis dafür, dass die Nada stets weiß, wo ein Sportler sich aufhält - um jederzeit an jedem Ort kontrollieren zu können. "Ich würde auch noch mehr auf mich nehmen, damit der Sport sauberer wird", sagte der Dormagener gestern im Bonner Wissenschaftszentrum im Rahmen einer Diskussionsrunde, zu der die Nada drei Sportler eingeladen hatte, die ihren Kurs bereitwillig mitsteuern: Neben Szabo die Nada-Botschafter Tobias Angerer, Olympia-Medaillengewinner im Skilanglauf, und Schwimm-Weltmeister Markus Deibler - beide haben ihre Karriere 2014 beendet.

Der gläserne Bürger. Im Spitzensport ist er längst Selbstverständlichkeit. Anfangs hat das die Protagonisten sehr genervt. Doch allmählich wächst die Revoluzzer-Generation aus dem Sport heraus. Zu ihr zählt noch der inzwischen 32 Jahre alte Kraus, der vor dem Vorkommnis vom Herbst 2014 schon drei Meldepflichtversäumnisse aufzuweisen hatte.

Chip unter der Haut?

Heutige Spitzensportler sind mit der 2002 gegründeten Nada aufgewachsen und sozusagen von Kindesbeinen an die "Schikane" gewohnt. Und empfinden diese vielleicht auch deshalb nicht mehr als Drama. Einige würden sich sogar einen Chip unter die Haut pflanzen lassen. Deibler, der nach seinem Kurzbahn-WM-Titel letzten Dezember schon mit 25 Jahren aufhörte, wäre zur "Fußfessel light" in Form einer GPS-Überwachung bereit gewesen: "Über Uhr oder Handy", sagte er: "So, dass ich immer nur daran denken muss: Die habe ich dabei."

Szabo hat keine Ängste vor Datenmissbrauch, weil er als Sportler doch sowieso sein Privatleben preisgebe. "Im Online-Zeitalter weiß eh schon jeder alles über mich", meinte der Säbelfechter: "Wenn man meinen Namen bei Google eingibt, dann kommen Dinge heraus, die weiß ich ja noch nicht einmal selbst über mich."

Die Sicht des 21-Jährigen spiegelt die Unbefangenheit der jungen Athletengeneration. Sie ist geprägt von Offenheit, weshalb auch der Glaube an sauberen Sport ehrlich wirkt, den Szabo ebenso verbreitete wie Skilangläufer Angerer - trotz der Dopinganfälligkeit des Ausdauersports. "Ich wusste, ich bin sauber, also habe ich gedacht: Meine Konkurrenten sind auch sauber", so Angerer, der immerhin zweimal den Gesamtweltcup gewann. Er ist überzeugt, dass die Skandale von 2001 und 2002 reinigende Wirkung in seiner Sportart hatten.

Die größte Sorge der Athleten ist heutzutage nicht die totale Überwachung, sondern die Angst davor, in eine Dopingfalle zu tappen: "Es ist eine Katastrophe: Ich muss bei allem genau wissen, was ich zu mir nehme - nicht nur bei Medikamenten oder Nahrungsergänzungsmitteln. Einen asiatischen Tee beispielsweise kann ich nicht bedenkenlos trinken", meinte Szabo.

Vor der WM 2015 in Peking wurden deutsche Leichtathleten von ihrer Mannschaftsleitung vor dem Verzehr von Eiern im Hotel gewarnt. Seit Jahren ist der Verzehr von Fleisch für Tischtennisprofis bei Titelkämpfen in Asien tabu - seit dem Clenbuterol-Fall des später freigesprochenen Dmitri Ovtscharov 2010 bei den China Open. Bei den Skilangläufern gehört längst der eigene Koch bei Weltmeisterschaften oder Olympischen Spielen zum Team.

Chancengleichheit im internationalen Vergleich

Was die jungen Athleten sich von Doping-Kontrollen erhoffen, ist vor allem Chancengleichheit im internationalen Vergleich. "Da herrschen immer noch große Differenzen. Aber ich verspreche: Wir lassen nicht nach, das zu verbessern", sagte Nada-Chefin Andrea Gotzmann.

Zurück zum Leid der Kontrollen: Nichts ist so schlecht, dass es nicht für irgendetwas gut ist. Was auch für die strengen Meldepflichten gilt. All das - so Angerer, der inzwischen in einer Agentur für Sportmarketing arbeitet - "hilft mir heutzutage bei der Strukturierung des Tagesablaufs". Dank einer strengen Nada hat der Oberbayer für das Leben gelernt.

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