Der Bonner SC wird abgewickelt Die erfolgloseste Fußballstadt Deutschlands

Was 1965 mit großen Hoffnungen begann, endet jetzt mit der Pleite. Ein Geschichte von großen Ansprüchen und harten Realitäten.

 Lang ist's her: BSC-Torwart Uli Gelhard rettet 1969 vor vollen Rängen imGronau-Stadion.

Lang ist's her: BSC-Torwart Uli Gelhard rettet 1969 vor vollen Rängen imGronau-Stadion.

Foto: Ronald Friese

Bonn. Der Cotoneaster zählt zu den Bodendeckern und ist ein unspektakuläres Gewächs, das eigentlich niemanden stört. Es sei denn, man setzt sich hinein.

Dann pieckt's. Zahlreiche meist jüngere Bonner machten damit unangenehme Erfahrungen, als sie in den 70er Jahren den Sportpark Nord besuchten. So voll war es damals im Stadion, dass sie auf den Rängen keinen Platz mehr fanden und in die unbebauten Kurven ausweichen mussten.

Fußball in Bonn - das war mal was. Als der Bonner SC 1976 in die 2. Bundesliga aufstieg, kamen zum ersten Spiel gegen Fortuna Köln 12 000 Zuschauer. Nach 31 Minuten führte der BSC durch Tore von "Ela" Hoffmann und Werner Grau mit 2:0 gegen den Ex-Bundesligisten. Es schien sich zu lohnen, mit dieser Mannschaft zu fiebern. Am Ende stand es 2:3, und ganz am Ende stand der Lizenzentzug. Der erste überhaupt im deutschen Profifußball. Spätestens da hätte man skeptisch werden können, an wen man seine Emotionen verschwendet.

Fotos Bilder aus der Geschichte des Bonner SCBonn zählt knapp 320 000 Einwohner und ist damit die größte deutsche Stadt, die nie in der 1. Fußball-Bundesliga vertreten war. Kaiserslautern hat nicht einmal 100 000 Einwohner, Mönchengladbach 250 000. Deren Erfolge sind bekannt. Bonn hingegen wird den Status als erfolgloseste deutsche Fußballstadt so schnell nicht mehr loswerden. Jedenfalls nicht durch den Bonner SC 01/04. Am Mittwoch wurde das Insolvenzverfahren eröffnet. Unter diesem Namen wird es den Klub bald nicht mehr geben. Womöglich taucht er als BSC 2011 wieder auf.

An Versuchen, in Bonn etwas auf die Beine zu stellen, hat es nicht gemangelt. Einmal machte der BSC sogar weltweit Schlagzeilen. Ende 1998 flog Präsident Hans Viol mit dem damaligen Trainer Rainer Thomas nach Kuba, um einen verrückt-verwegenen Plan in die Tat umzusetzen. Die komplette kubanische Nationalelf sollte für den BSC in der Oberliga auflaufen.

In Havanna wurde die Delegation aus Bonn beinahe wie Staatsgäste behandelt. Man stellte ihnen einen 24-Stunden-Dolmetscher zur Verfügung, sie verhandelten mit dem Sportministerium, Viol wandelte mit dem ehemaligen Leichtathletik-Olympiasieger Alberto Juantorena über die Fußballplätze der Hauptstadt. Einzig Fidel Castro, den trafen sie nicht. Aber man wurde sich einig. Zu Hause war derweil die Hölle los.

Zeitweise kamen mehr Kamerateams als Spieler zum Training. Spiegel, Frankfurter Allgemeine, Libération, BBC - alle platzten vor Neugier. Kuba, Castro, Sozialismus, Fußball, Bonn. Diese Assoziationskette beflügelte die Fantasie.

Meinungen Lesen Sie dazu auch Stimmen: Spieler, Trainer, Funktionsträger und Weggefährten zur Insolvenz

Einige Monate später kamen die Kubaner tatsächlich nach Bonn. Sie wohnten in einem Hotel auf der Kölnstraße, wurden ein wenig herumgereicht, und ein halbes Dutzend von ihnen machte erste Oberligaerfahrungen. Aber dann schaltete sich Regierungspräsident Franz-Josef Antwerpes ein, ein ausgewiesener Kuba-Freund, der dem darbenden Inselstaat hin und wieder humanitäre Hilfe hatte zukommen lassen. Weil Antwerpes eine gewisse Sklavenhandel-Mentalität witterte, gestaltete sich die Sache mit der Aufenthaltsgenehmigung zunehmend aussichtslos.

Am Ende vereinbarte der BSC mit den Kubanern lediglich eine Kooperation, die nie mit Leben gefüllt wurde. Was blieb? Vladimir Alejo. Ein Spieler, der sich in Bonn verliebte und hier auch heiratete.

Die Überschrift "Viel Rauch um nichts" kennzeichnet die gesamte Ägide Viol. 1995 hatte der Unternehmer als weitgehend unbeschriebenes Blatt den Vorsitz von Heinz-Helmich van Schewick übernommen. Gerüchte von bizarren Auftritten im Kampfanzug in Bonner Studentenkneipen machten die Runde, von einer Flucht in die Fremdenlegion, von viel Geld, das er in Simbabwe mit Marmor und Granit verdiene. Unbescheiden verkündete Viol, er wolle den BSC wieder in die 2. Liga führen.

Saison für Saison steckte er fortan 500 000 Euro in den Klub, verschliss die Trainer im Jahrestakt und sorgte auch im Kader für eine beispiellose Fluktuation. Mit dem Ergebnis, dass eine kontinuierliche Entwicklung nie stattfand. Der BSC pendelte zwischen 3., 4. und 5. Liga, am Leben gehalten allein von Viol. Oft beklagte der Unternehmer, dass ihm niemand helfe.

Nicht die Stadt und schon gar nicht die finanzkräftigen Bonner Unternehmen. Aber mit dem unberechenbaren Mann, der seinen Klub wie ein Patriarch führte, wollte sich keiner einlassen. Hinzu kam, dass Viol seine Zuwendungen als Darlehen deklarierte, wodurch sich eine Schuld von mehr als sieben Millionen Euro auftürmte. Spätestens das schreckte potenzielle Geldgeber ab.

Der Vorsitzende war Segen für den BSC, weil er den Verein - als einziger in Bonn - mit großem finanziellen Einsatz am Leben erhielt. Und er war gleichzeitig Fluch, weil er viele abschreckte, die sonst vielleicht geholfen hätten. Am Ende hat das Modell Viol den Verein in den Ruin getrieben.

Dass der BSC bei der Bonner Wirtschaft allenfalls bis ins Vorzimmer gelangte, mussten jedoch schon andere vor Viol erfahren.

Selbst in den Gründungstagen, als der Verein vor Prominenz schier platzte. Am 18. Juni 1965 fusionierten TuRa Bonn und Bonner FV zu einem ambitionierten Gebilde, das mit viel Tamtam aus der Taufe gehoben wurde. Dem Ehrenpräsidium gehörten unter anderem Konrad Adenauer, Erich Mende und Carlo Schmid an. Einen dauerhaften Aufschwung garantierte aber selbst das nicht. Im Winter, wenn die Einnahmen ausblieben, wurde es stets eng. Erst ohne, dann mit Viol.

Zwar stieg der neue Klub durch mehrere Hintertüren umgehend in die damals zweitklassige Regionalliga West auf, doch trotz teils hochkarätiger Verstärkungen entwickelte sich der BSC schnell zur Fahrstuhlmannschaft. 1966 kam mit Horst Mühlmann, Uwe Kleina, Dieter Lömm und Werner Grau gleich ein Quartett von Schalke 04; 1968 wechselte mit Horacio Troche ein uruguayischer Nationalspieler aus Aachen in die Gronau, den viele schon aus dem Fernsehen kannten. Bei der WM 1966 in England hatte er Uwe Seeler geohrfeigt.

Selbst der Umzug in den lukrativeren Sportpark Nord half dem Verein 1970 nicht weiter. Obwohl in diesem Jahr mit Hannes Bongartz das vielleicht größte Bonner Talent überhaupt debütierte, stand am Ende der Saison wieder einmal der Abstieg aus der Regionalliga.

Vielleicht wäre einiges anders gekommen, wenn der Deutsche Fußball-Bund wenige Jahre später ein Auge zugedrückt hätte. Am Ende der Zweitligasaison 1976/77 stand der BSC - von außen betrachtet - eigentlich prima da. Sportlich war die Rettung gelungen; nicht selten waren 10 000 Zuschauer oder mehr gekommen; Spieler wie Pedro Milasincic, Wolfgang Thier, Nobby Lenzen, Uli van den Berg oder "Ela" Hoffmann versprachen viel für die Zukunft.

Aber im Grunde lagen Fluch und Segen schon damals ganz nah beieinander: Am letzten Spieltag traf ausgerechnet Uli Surau zum entscheidenden und vermeintlich selig machenden 1:0 gegen Bayer Leverkusen. Ein Spieler, der von Borussia Mönchengladbach gekommen war, wegen zahlreicher Verletzungen kaum spielte, aber angeblich netto kassierte, was er brutto bekommen sollte. Dieses Finanzgebaren kostete den BSC später vor den DFB-Gremien den Kopf. Andere, wie Kickers Offenbach und 1860 München, waren höher verschuldet, aber nur dem BSC wurde eine Sanierung nicht zugetraut.

Sollte Bonns ehedem ranghöchster Fußballklub irgendwann unter leicht modifiziertem Namen wiedergegründet werden, darf seine erste Mannschaft allenfalls in der Landesliga starten. Um die Vorherrschaft in der Region streiten vorerst Vereine wie der VfL Alfter und der SV Wachtberg. Bis im Sportpark Nord wieder 10 000 Zuschauer ein Fußballspiel verfolgen, wird noch einige Zeit vergehen. Der Cotoneaster hat Ruh.

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