Euro 2016 DFB-Elf im Halbfinale

Bordeaux · Die deutsche Nationalmannschaft steht im Halbfinale der Europameisterschaft in Frankreich. Gegen den vermeintlichen Angstgegner Italien setzte sich die DFB-Elf im Elfmeterschießen 6:5 durch.

Sie war fast weiter, sie war fast raus, und dann hat es die deutsche Nationalmannschaft doch geschafft. Als der Kölner Jonas Hector den 18. und letzten Elfmeter verwandelt hatte in diesem beinahe unerträglichen Krimi, brachen bei den Spielern und Trainer Joachim Löw alle Dämme. Deutschland steht im Halbfinale der EM - nach einem nervenaufreibenden Spiel gegen Italien. Die Turnierreise geht für die DFB-Elf nach dem 6:5 (1:1/0:0) im Elfmeterschießen gegen Italien weiter ins Halbfinale am Donnerstag nach Marseille.

Spiele gegen die Italiener bieten immer Stoff für die Geschichtsbücher. So auch dieses. Acht Spiele konnte eine deutsche Mannschaft bei einem großen Turnier zuvor nicht mehr gewinnen gegen eine "Squadra Azzurra". Die bittere Serie ist seit gestern Geschichte. Eine der bittersten Niederlagen erlebte Joachim Löw dabei vor vier Jahren beim 1:2 im Halbfinale der EM. Und gleich, was der Bundestrainer auch anstellt, diese Pleite ist immer noch nicht ganz verschwunden aus dem kollektiven Bewusstsein. Denn Löw, so heißt es bis heute, hatte sich verzockt damals und die falsche, zu demütige Aufstellung gewählt. Stratege Toni Kroos sollte damals den genialen Andrea Pirlo aus dem Spiel nehmen. Damit hatte sich das DFB-Team seiner offensiven Wucht beraubt.

Und auch diesmal überraschte Löw mit einer Startformation, die nach dem 3:0 gegen die Slowakei so nicht erwartet worden war. Er probierte es erstmals bei diesem Turnier mit einer Dreierkette in der Abwehr. Jerome Boateng, Mats Hummels und Benedikt Höwedes, der in die erst Elf rückte, sollten sich um die beiden italienischen Stürmer Graziano Pellè und Eder kümmern. Mit dieser Variante hatte das DFB-Team bereits im März beim 4:1 im Testspiel gegen den selben Gegner überzeugt. Allerdings hatte Löw zuletzt immer wieder betont, dass er nicht allzuviel Wert auf solche Ergebnisse legt. Entscheidend sei, sagte er, "was beim Turnier passiert". Die Dreierkette hatte es ihm aber offenbar angetan. Er hatte sie immer wieder als mögliche Variante, sollte ein Gegner mit zwei Spitzen antreten, ins Spiel gebracht.

Der Kölner Jonas Hector über links und Joshua Kimmich sicherten bei dieser Formation die Seiten ab. Im Sturm rückte Thomas Müller an die Seite von Mario Gomez. Und Julian Draxler, gegen die Slowaken überragende Offensivkraft, fand sich auf der Bank wieder. Eine erfolgreiche Mannschaft zu ändern - Kann das gutgehen? Die Befürchtungen, Löw könnte erneut danebengelegen haben, bestätigten sich aber nicht. Zwar stand die Abwehr sicher. Vorne aber gab es kein Durchkommen gegen diese italienische Abwehrfestung.

Selbst wenn Sami Khedira aus dem Mittelfeld immer wieder vorne reinstieß. Das brachte zunächst einmal nicht viel. Schlimmer noch: Bei einem seiner Vorstöße verletzte er sich und musste mit Adduktorenproblemen im linken Oberschenkel bereits nach einer Viertelstunde ausgewechselt werden. Für ihn kam der Kapitän an Bord: Bastian Schweinsteiger, der die Binde sogleich von seinem Stellvertreter Manuel Neuer übernahm.

So wirklich mitspielen wollten die Italiener auch danach nicht. Sie verlegten sich aufs Kontern und sahen interessiert zu, wie sich die Deutschen den Ball hin und her passten. Die Dreierkette um Abwehrchef Leonardo Bonucci bekam bei deutschem Ballbesitz Unterstützung von allen fünf Mittelfeldspielern. Wie eine Wagenburg verbarrikadierte die italienische Defensive den eigenen Strafraum.

Dann aber schlich sich Schweinsteiger in den Strafraum und köpfte den Ball ins Tor. Doch Keeper Gianluigi Buffon hatte schnell den Arm zur Reklamation oben. Zu recht: Der frühere Münchner hatte Mattia de Sciglio mit beiden Armen aus dem Weg geräumt (27.). Die Italiener trauten sich nur selten in die deutsche Hälfte. Auch, weil die Löw-Elf sie gar nicht erst hineinließ. Sie attackierte das Team von Trainer Antonio Conte kurz hinter der Mittellinie. Auf dem Platz entstand dennoch eine Pattsituation - in der italienischen Hälfte. Mesut Özil versuchte Struktur ins Offensivspiel zu bringen, blieb aber in der vielbeinigen Abwehr ein ums andere Mal mit seinen Dribblings hängen. Lösungen, wie der Tresor zu knacken ist, fand auch er zunächst nicht.

Erst fünf Minuten vor der Pause wurde es erstmals gefährlich vor Buffons Tor. Der auffällige Kimmich flankte von rechts, Gomez hielt seinen Kopf hin, doch der Ball segelte weit vorbei (41.). Dann wurde es Hummels hinten zu langweilig. Er setzte sich auf dem linken Flügel gegen zwei italienische Abwehrraubeine durch. Irgendwie kam der Ball zu Müller. Der Münchner jedoch traf den Ball aus elf Metern eher mit der Wade als dem Fuß - Buffon hatte keine Mühe (42.). Dass sogar die Italiener wussten, wo das deutsche Tor steht, zeigten sie schließlich auch. Bei Stefano Sturaros Schuss von der Strafraumgrenze bekam Boateng den Fuß aber noch dazwischen (43.).

Die Deutschen schalteten auch in der zweiten Hälfte in den Ballbesitzmodus. Und profitierten von einem kämpferischen Gomez, der den Ball gegen zwei Abwehrspieler behauptete und den Ball auf Müller legte. Doch der schaffte es auch dieses Mal nicht, seinen ersten EM-Treffer zu erzielen. Mit einer akrobatischen Einlage Marke Boateng lenkte Alessandro Florenzi Müllers Schuss im Tiefflug am Tor vorbei (54.). Die Italiener griffen ob der erhöhten deutschen Angriffswucht nun zu unfairen Mitteln. Die Konsequenz: Drei Gelbe Karten innerhalb von fünf Minuten zückte Schiedsrichter Viktor Kassai.

Gomez, einer der Gefoulten, stachelte das offensichtlich nur noch mehr an. Sein feines Pässchen erreichte den durchgestarteten Hector, der den Ball in den 16er legte - Özil rauschte heran und der Ball ins Tor (65.). Endlich war das italienische Abwehrbollwerk geknackt. Die Deutschen zogen sich nun jedoch nicht zurück, machten einfach weiter im Spiel nach vorne. Erneut zeigte dann Özil seine Klasse bei einem Pass in den Strafraum auf Wühler Gomez. Doch Buffon unterstrich bei seiner Parade, dass er auch mit 38 Jahren ein Weltklassekeeper ist (68.). Für Gomez war die Partie anschließend beendet. Hinkend und wohl wegen Oberschenkelproblemen verließ er unter großem Applaus der deutschen Fans den Platz. Für ihn kam Draxler (72.).

Die Italiener trauten sich nun aus ihrer Wagenburg heraus. Und ein langer Pass genügte ihnen, um zu einem Elfmeter zu kommen. Boateng riss die Arme hoch und berührte den Ball damit. Bonucci traf humorlos an Manuel Neuer vorbei ins rechte Eck (77.) - der Ausgleich und das erste Turnier-Gegentor für die deutsche Elf. Den Italienern reichte das, sie zogen sich wieder zurück. So ging es in die Verlängerung.

Dort ging es gleich ruppig zur Sache. Pelle, der blass blieb, trat Boateng von hinten auf die Wade. Eine Schrecksekunde. Doch der Innenverteidiger konnte weiterspielen. Die Italiener spielten weiter italienisch und versuchten über schnelle Gegenangriffe zumm Erfolg zu kommen. Die deutsche Abwehr hielt. Vorne aber fehlten die Ideen. Eher zufällig landete der Ball bei Draxler, der allerdings mit dem Rücken zum Tor stand und übers Tor schoss (107.). Dann sprintete Draxler über den halben Platz, sah den freien Müller, doch der Pass des Wolfsburgers war zu ungenau (109.). Es ging ins Elfmeterschießen. Einiziger Wermutstropfen: Im Halbfinale muss Mats Hummels zusehen, der seine zweite Gelbe Karte im Turnier sah und gesperrt ist.

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