Unternehmer im Gespräch Kölner Raviol restauriert alte Fahrgeschäfte für nostalgische Jahrmärkte

KÖLN/DÜREN · An den alten Rädern mit Gummireifen frisst der Rost, ganze Holzpfeiler müssen vom Schreiner ersetzt werden, und die Schmuck-Bilder mit Fuchs und Hase im Schnee brauchen dringend neue Farben.

 Rettung für die Berg- und Talbahn: Pascal Raviol vor den Einzelteilen seines historischen Kirmes-Fahrgeschäfts. In der Lagerhalle des Kölners warten zahlreiche Einzelstücke wie die Karussellauto-Feuerwehr und der Trompeter auf ihren Einsatz.

Rettung für die Berg- und Talbahn: Pascal Raviol vor den Einzelteilen seines historischen Kirmes-Fahrgeschäfts. In der Lagerhalle des Kölners warten zahlreiche Einzelstücke wie die Karussellauto-Feuerwehr und der Trompeter auf ihren Einsatz.

Foto: GA

Trotzdem: An der Berg- und Talbahn, erbaut im Jahr 1946 vom Kölner Karrussellhersteller Achtendung, kam Pascal Raviol einfach nicht vorbei. Zwei Jahre verwitterte das Fahrgeschäft bei seinem Vorbesitzer unter freiem Himmel, bis der Kölner Unternehmer den Jahrmarkts-Oldtimer kaufte.

Die alte Raupenbahn ergänze seine Kirmes-Sammlung perfekt, sagt er. Raviol ist Schausteller aus Leidenschaft. Der 43-Jährige tingelt mit seinem nostalgischen Jahrmarkt von Stadtfest zu Stadtfest, gastiert auf Weihnachtsmärkten über Ostern im Freilichtmuseum Kommern und im Herbst auf dem Münchner Oktoberfest. Die Fahrgeschäfte dienten bereits als Kulisse für Filmproduktionen und Unterhaltung bei Betriebsfesten.

Zu seinem nostalgischen Sammelsurium zählen zwei Kinderkarussells, ein Kaffeewagen, seine "Reiseconditorei" und historische Packwagen, in denen das Rummel-Zubehör stilgerecht hinter Holzvertäfelung reist. Reich werde man nicht, mit den "historischen Jahrmarktattraktionen", räumt der 43-Jährige ein. Aber er habe eine Marktnische gefunden.

Raviol hat bei seinen Besuchern, vornehmlich Familien und ältere Menschen, einen "Wunsch nach Nostalgie und Verzauberung" ausgemacht. Die gemächlichen Holz-Karussells, nach altem Rezept gebrannte Mandeln und eine insgesamt ruhigere Atmosphäre böten eine Alternative zu den immer lauteren und schnelleren herkömmlichen Volksfest-Attraktionen. "Die kleine Dorfkirmes funktioniert doch längst nicht mehr", sagt der gelernte Plakatmaler. Unter seiner Tweed-Schiebermütze leuchtet in seinen Augen echte Begeisterung, wenn er erzählt, wie sich zuletzt eine 90-jährige Besucherin über das aufwändig restaurierte Karussell aus den 30er Jahren gefreut habe.

Anders als vielen Schaustellern wurde Raviol der Beruf nicht in die Wiege gelegt. Der gebürtige Berliner hat noch zu DDR-Zeiten erste Kirmes-Luft geschnuppert, allerdings über einen Umweg. "Jeder plant doch als Kind, später zum Zirkus zu gehen", sagt er. "Aber wer setzt das schon um?". Raviol hat es getan. In den letzten Jahren vor der Wende heuerte er bei einem staatlichen DDR-Zirkus im Marketing an. "Im Gegensatz zum Westen galt der Zirkus dort damals als Hochkultur und wurde subventioniert", erinnert er sich an den "Farbtupfer im sozialistischen Alltag".

Nach der Wende arbeitete Raviol unter anderem als Pressesprecher für den Zirkus Roncalli. Hier hat auch seine Kirmes-Geschäftsidee ihre Wurzeln. Für Roncalli hat Raviol Gastspiele mit dessen historischen Verkaufswagen organisiert. "Man muss den Jahrmarkt wie einen Zirkus inszenieren", habe er bei Roncalli gelernt. Vor vier Jahren kehrte er dem Zirkus den Rücken und machte sich selbstständig. In der Hauptsaison beschäftigt er mittlerweile zwei bis drei Mitarbeiter, dazu kommen zahlreiche Handwerker, die in den Dürener Lagerhallen an den Fahrgeschäften arbeiten.

An Kirmestagen steht Raviol selbst hinter dem Kessel für die gebrannten Mandeln und schläft hinter seinen Karussells im - selbstverständlich - historischen Schaustellerwagen mit Bleiglas-Fenstern und knarrender Holztür.

Für den Unternehmer geht es um mehr als den Broterwerb. Er wolle eine Lanze brechen für die Alltagstagskultur, sagt Raviol. "Die hat in Deutschland leider kaum eine Lobby." In der Schaustellerzunft wird das offenbar mit gemischten Gefühlen betrachtet. "Ich bin für viele Kollegen ein totaler Exot, die meisten lachen über mich", sagt er - ohne, dass der Eindruck entsteht, dass ihn das störe. Andere Schausteller freuten sich über die Gelegenheit, gemeinsam mit Raviol "Opas alte Schiffschaukel mal wieder aufbauen zu dürfen".

Auch Raviol schwärmt von seiner Raupenbahn, mit der er die Kirmes-Atmosphäre der 50er wiederbeleben möchte: "Damals trafen sich die Menschen, um auf dem Jahrmarkt die neuesten Hits zu hören, unter der Stoffhülle der Raupenbahn wurde der erste Kuss ausgetauscht". Bis dahin braucht er für sein Fahrgeschäft jedoch erst einmal Geld.

Als "Fass ohne Boden" habe sich die Bahn entpuppt. 45.000 Euro habe er bereits in die Restaurierung investiert. Weitere 20 000 Euro fehlen, um die Raupe in Schwung zu bringen. Um die restlichen Arbeiten zu finanzieren, sammelt er über das Internet per Crowdfunding Geld von Investoren. Eine der versprochenen Gegenleistungen: einen Tag als "junger Mann zum Mitreisen" die Raupenfahrt am Mikrofon kommentieren und bei den Fahrgästen die Chips einsammeln.

Die Schausteller-Branche

Knapp 5000 Schaustellerunternehmen mit insgesamt fast 23.000 Beschäftigten arbeiten nach Angaben der "Marktstudie Volksfeste 2012" in Deutschland. Der Deutsche Schaustellerbund geht von einer doppelt so hohen Zahl aus. Da es sich in der Mehrzahl um Familienbetriebe handele, seien die Unternehmen der Kinder oft nicht einzeln im Verband angemeldet, hieß es.

Die Studie schätzt den Bruttoumsatz der Branche auf 3,7 Milliarden Euro, davon würden etwa zwei Drittel auf Volksfesten erwirtschaftet, der Rest bei Weihnachtsmärkten. In Deutschland finden nach Verbandsangaben jährlich rund 10.000 Volksfeste mit insgesamt 150 Millionen Besuchern statt. Weitere 85 Millionen Gäste kommen zu den Weihnachtsmärkten. Die Kommunen als Veranstalter der Volksfeste nehmen von den Schaustellern nach Verbandsangaben rund 350 Millionen Euro an Gebühren ein.

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