Interview mit Roger Willemsen "Es geht um die leisen Momente"

OEDEKOVEN · Roger Willemsen, 58, kehrt zurück nach Oedekoven, wo er aufgewachsen ist. Am Montag, 14. Oktober, 20 Uhr, liest der Publizist im Ratssaal aus seinem Buch "Momentum". Der Erlös ist für den Afghanischen Frauenverein bestimmt. Im Interview blickt Willemsen auch zurück auf seine Jugend und erklärt, warum er sich für die Menschen in Afghanistan einsetzt.

Worauf können sich die Gäste bei Ihrer Lesung am 14. Oktober in Oedekoven freuen?
Roger Willemsen: Auf die Wiederbegegnung mit einem der ihren.

"Momentum" ist ein sehr persönliches Buch, in dem Sie bedeutende Augenblicke in Ihrem Leben beschreiben. Welche Momente möchten Sie noch einmal erleben, welche niemals wieder?
Willemsen: Sie fragen nach den Extremen, und diese behalte ich auch im Buch für mich. Oder finden Sie, man sollte Liebe und Tod mit der Zeitung teilen? In "Momentum" geht es viel mehr um die leisen Momente, die unscheinbaren. Möchte ich wieder der Junge sein, der in der Oedekovener Pfarrbibliothek Bücher entlieh? Vielleicht als Leser, aber weniger als Junge.

Viele Philosophen und Schriftsteller haben sich an der Definition von Glück versucht. Wie definieren Sie Glück?
Willemsen: Das Glück charakterisiert eine Bewegung des Wachstums, der Ausdehnung, der Hervorbringung, der Produktivität, verbunden mit Daseinsbejahung.

Gibt es oder gab es für Sie den Moment des absoluten Glücks?
Willemsen: Es gab ihn oft, unvorbereitet stellte er sich ein, unvorbereitet ging er. Ich bereite also nicht vor, ihn wieder zu erleben, aber ich bin aufmerksam.

In Ihrem neuen Buch "Es war einmal oder nicht" berichten Sie vom Alltag von Kindern in Afghanistan. Der Erlös Ihrer Lesung geht an den Afghanischen Frauenverein. Worauf gründet Ihr Interesse an und Ihr Engagement für dieses vom Krieg gebeutelte Land?Willemsen: Ich verdanke dem Land viel, Beglückung wie Erschütterung. Man kann die Situation der Menschen dort nicht erlebt haben und nichts für sie tun wollen. Als öffentliche Person habe ich Möglichkeiten. Die nutze ich und freue mich dauernd der Früchte dieser Arbeit.

Was muss passieren, damit dort Frieden einkehrt?
Willemsen: Seit so vielen Jahrzehnten leidet das Land vor allem unter seinen Besatzern. Deutschland wird im Moment kaum anders gesehen. Ich werde also keine Empfehlungen abgeben, aber Entwaffnung, Bekämpfung der Korruption, mehr humanitäres Arbeiten statt sinnlosem kriegerischen Agieren wäre schon mal ein Anfang.

Zurück nach Oedekoven, wo Sie aufgewachsen sind: Welche Momente verbinden Sie mit diesem Ort?
Willemsen: Der ganze große Fächer von Kinderbildern blättert sich da auf, zu dieser Jahreszeit jetzt hätte ich halbe Tage im Kottenforst mit Pilzesuchen zugebracht.

Wie oft besuchen Sie Oedekoven?
Willemsen: Ich komme immer wieder dorthin, gehe spazieren, besuche das Grab meines Vaters, stehe vor der Volksschule...

Sie waren in Ihrer Jugend eifriger Ausleiher in der katholischen Bücherei. Was haben Sie damals gelesen?
Willemsen: In meiner Erinnerung waren es vor allem Abenteuerbücher, weil die zu Hause fehlten. Margreth Nath, die nun meine Gastgeberin sein wird, hat mich damals gut beraten. Ich bin ihr immer dankbar geblieben. Deshalb komme ich zu ihrem Dienst-Abschied nach 50 Jahren gerne zurück und feiere ihren Ausstand mit ihr und dem Oedekovener Publikum.

Können Sie schon etwas über Ihr nächstes Buchprojekt verraten?
Willemsen: Genauer kann ich da noch nicht werden. Aber das Buch wird Ende Februar erscheinen, und der erste Satz, den Dieter Hildebrandt sagte, als ich ihm davon erzählte, war: Warum ist darauf noch niemand gekommen?

Zur Person

Roger Willemsen, 1955 in Bonn geboren, in Oedekoven aufgewachsen, studierte Germanistik, Kunstgeschichte und Philosophie in Bonn, Florenz, München und Wien. Nebenher arbeitete er als Nachtwächter, Reiseleiter und Museumswärter.

1984 promovierte er über die Dichtungstheorie Robert Musils. Willemsen arbeitete als Essayist, Herausgeber und Übersetzer unter anderem von Thomas Moore und Umberto Eco. Nach einem halbjährigen Aufenthalt in Südostasien zu Recherchen für einen Roman ging er 1988 für drei Jahre nach London, wo er auch als Korrespondent für Rundfunkstationen, Zeitschriften und Zeitungen arbeitete.

1991 wurde der Sender Premiere bei einem Casting für das tägliche Interview-Magazin "0137" auf Willemsen aufmerksam. Damit nahm seine Fernsehlaufbahn ihren Anfang. Gut 1000 Interviews später moderierte er 1993 "Willemsen - Das Fernsehgespräch" (Premiere) und "Willemsens Woche" beim ZDF.

Willemsen ist auch als Autor sehr erfolgreich: "Deutschlandreise", "Die Enden der Welt", "Momentum". Er ist Schirmherr des Afghanischen Frauenvereins und engagiert sich für amnesty international.

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