Lesung im Siegburger R² Literarischer Blick hinter die Kulissen der EU

Siegburg · Romancier und Essayist Robert Menasse liest in der Siegburger Buchhandlung aus seinem hochgelobten Roman „Die Hauptstadt“. Romancier aus Österreich war zum zweiten Mal Gast in der Kreisstadt.

 Einen Einblick in das Räderwerk der EU-Kommission vermittelte Robert Menasse dem Publikum bei seiner Lesung.

Einen Einblick in das Räderwerk der EU-Kommission vermittelte Robert Menasse dem Publikum bei seiner Lesung.

Foto: Paul Kieras

Bereits zum zweiten Mal war der österreichische Romancier und Essayist Robert Menasse auf Einladung der Brüder Andreas und Paul Remmel von der Buchhandlung R² zu Gast in Siegburg. 2015 erzählte der Autor in der Stadtbibliothek im Rahmen der Literaturwochen über das Erzählen, dieses Mal stellte er in der Buchhandlung seinen Roman „Die Hauptstadt“ vor, der zurzeit auch auf der Shortlist für den Deutschen Buchpreis 2017 steht.

Und darum geht es: In Brüssel laufen die Fäden zusammen und ein Schwein läuft durch die Straßen. Fenia Xenopoulou, Beamtin in der Generaldirektion Kultur der Europäischen Kommission, steht vor einer schwierigen Aufgabe. Sie soll das Image der Kommission aufpolieren. Anlass ist der 50. Geburtstag der Kommission. Sie beauftragt den Referenten Martin Susman, eine Idee zu entwickeln. Die Idee nimmt Gestalt an, und zwar die Gestalt eines Gespensts aus der Geschichte, das für Unruhe in den EU-Institutionen sorgt. Denn Auschwitz soll zum Mittelpunkt dieser Feier gemacht werden.

David de Vriend dämmert in einem Altenheim gegenüber dem Brüsseler Friedhof seinem Tod entgegen. Als Kind ist er von einem Deportationszug gesprungen, der seine Eltern in den Tod führte. Nun soll er bezeugen, was er im Begriff ist zu vergessen. Auch Kommissar Brunfaut steht vor einer schwierigen Aufgabe. Er muss aus politischen Gründen einen Mordfall auf sich beruhen lassen. „Zu den Akten legen“ wäre zu viel gesagt, denn die sind unauffindbar. Und Alois Erhart, Emeritus der Volkswirtschaft, soll in einer Denkfabrik der Kommission vor den Denkbeauftragten aller Länder Worte sprechen, die seine letzten sein könnten.

Gute Kritiken

In seinem neuen Roman spannt Robert Menasse einen weiten Bogen zwischen den Zeiten, den Nationen, dem Unausweichlichen und der Ironie des Schicksals, zwischen kleinlicher Bürokratie und großen Gefühlen. Und Brüssel sucht einen Namen für das Schwein, das durch die Straßen läuft. David de Vriend bekommt derweil ein Begräbnis, das stillschweigend zum Begräbnis einer ganzen Epoche wird.

Menasses Roman wird von den Kritikern hoch gelobt. Er sei elegant geschriebener, fabelhaft gebaut, pointen- und gedankenreich. Dem Schriftsteller sei es gelungen, die EU „nicht als behäbiger Krake ohne Kopf“, sondern „als lebendiger Organismus von Menschen für Menschen“ erscheinen zu lassen, so die Kritiker. Das Publikum im R² konnte sich am Donnerstagabend bei ausgewählten Passagen davon überzeugen.

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