Interview mit Almut van Niekerk und Patrick Ehmann „Ein Raum, um Mensch zu sein“

Siegburg · Der Evangelische Kirchenkreis An Sieg und Rhein (EKASUR) hat zwei wichtige Positionen neu besetzt: Die Sankt Augustiner Pfarrerin Almut van Niekerk ist als neue Superintendentin Nachfolgerin von Reinhard Bartha. Patrick Ehmann hat als Geschäftsführer des Diakonischen Werks Jürgen Schweitzer beerbt: Am Freitag, 28. April, wird er in Siegburg offiziell eingeführt.

In welcher Verfassung sehen Almut van Niekerk und Patrick Ehmann die Kirche, wo liegen ihre Schwerpunkte? Und es stellt sich die Frage, was der Kirchenkreis An Sieg und Rhein zum Reformationsjahr plant.

Sie beide sind seit einigen Monaten im Amt. Sind Sie gut angekommen?

Almut van Niekerk: Bei mir ging es in Etappen. Bei der Herbstsynode bin ich gewählt worden, aber mein Vorgänger Reinhard Bartha blieb noch bis Ende Dezember im Amt. Meine offizielle Einführung war aus terminlichen Gründen erst Ende Januar. Ich habe gut hineingefunden, auch weil ich die vergangenen fünf Jahre seine Stellvertreterin war und seit 1999 Pfarrerin in Sankt Augustin bin.

Patrick Ehmann: Ich hatte das Glück, dass mein Vorgänger Jürgen Schweitzer in den ersten beiden Monaten noch da war. So haben wir einen guten Übergang hinbekommen. Dabei habe ich durchweg hoch kompetente, hoch motivierte Mitarbeiter kennengelernt.

Ehmann: Ich habe früher selbst studentisch debattiert. 2013 richtete mein Verein in Berlin die Weltmeisterschaft aus, mit 1100 Teilnehmern aus 80 Ländern. In jeder Debatte treten zwei Pro- und zwei Contra-Teams gegeneinander an, das Thema wurde eine Viertelstunde vorab bekannt gegeben. Mir wurde damals die Organisation anvertraut. Dadurch bin ich international gut vernetzt, und zu Afrika hatte ich immer eine besondere Beziehung. Ich bin in Südafrika aufgewachsen, weil mein Vater dort Pfarrer war.

van Niekerk: Ich musste erst einmal Argumente finden, damit er zu uns kommt (lacht).

Ehmann: So schwer war es auch nicht!

van Niekerk: Es hat sich gut gefügt. Der Kirchenkreis war der festen Überzeugung, dass er mit seinen Erfahrungen die ideale Besetzung für die Geschäftsführung ist.

Ehmann: Hier gibt es einfach interessante Aufgaben. Das Diakonische Werk ist in den vergangenen Jahren stark gewachsen, hinsichtlich Personal und Aufgaben. Die Organisationsstruktur muss dieser Entwicklung angepasst werden. Außerdem haben wir in den kommenden Jahren einen Generationswechsel zu bewältigen. Die Frage ist dann, wie wir gute Leute bekommen. Im Bereich der sozialen Arbeit kann man sich heutzutage fast aussuchen, wo man arbeiten will.

Ehmann: Es scheint gut zu laufen für die Region, in der Tat. Das trifft aber nicht für jeden Einzelnen zu. Es gibt auch hier Arbeitslose und Menschen, die beispielsweise in Armut leben, die an psychischen Erkrankungen leiden oder Suchtprobleme haben. Unseren Platz sehe ich beim Thema „Menschlichkeit“. Wir schaffen über die staatlichen Sicherungssysteme hinaus Angebote und wollen für die Menschen einfach da sein. Das bedeutet natürlich auch, dass wir unsere Angebote den Bedürfnissen und den Realitäten immer wieder anpassen. Wir werden zum Beispiel stärker auf Familien und ihr Umfeld schauen. Wo Eltern multiple Probleme haben, laufen die Kinder Gefahr, ähnliche Schwierigkeiten zu bekommen. Aber auch die demografische Entwicklung stellt uns vor ganz neue Herausforderungen: Welches Altenheim ist auf Menschen vorbereitet, die eine Suchtvergangenheit haben und im Alter Substitutionspräparate benötigen? Wer früher illegale Drogen konsumiert hat, starb in der Regel früh. Das ist dank der medizinischen Versorgung heute nicht mehr so.

van Niekerk: Diese Phase der Selbstbeschäftigung liegt glücklicherweise hinter uns. Aber sie war notwendig, um die Organisation der Moderne anzupassen – Stichwort Digitalisierung. Da sind wir jetzt gut aufgestellt, und wir können uns wieder mehr den Inhalten widmen. Etwa der Frage, was Kirche heute bedeutet.

van Niekerk: Bei uns ist der Schrumpfungsprozess nicht so schlimm wie in anderen Gegenden. Wir profitieren davon, dass wir in einer Zuzugsregion leben. Aber es stimmt schon: Wir verlieren Mitglieder, und das setzt den Gemeinden zu. Als ich 1999 im Kirchenkreis anfing, hatten wir 125 000 Mitglieder, jetzt sind wir bei 117 000. Es wird viel Energie eingesetzt, diese Entwicklung aufzufangen. Das ist aber echt schwierig – gerade dann, wenn die Menschen eine zugewandte Haltung zur Kirche verloren haben und es letztlich darum geht, Kirchensteuer zu sparen. Es ist auch kaum möglich, mit Austrittswilligen in Kontakt zu kommen. Wir bekommen nur die Mitteilung vom zuständigen Amtsgericht, wer ausgetreten ist. Wir schicken dann noch einen Brief und bitten um eine Rückmeldung. Aber dann kommt nie etwas zurück.

van Niekerk: Das Thema Öffentlichkeitsarbeit spielt eine wichtige Rolle. Wir sind oft zu bescheiden und müssten noch stärker herausstellen, was mit der Kirchensteuer Gutes gemacht wird. Das Diakonische Werk bekommt für seine Arbeit jährlich über eine Million Euro, hunderttausende gehen von den einzelnen Kirchengemeinden an die Kindergärten. Aus dem kreiskirchlichen Haushalt zahlen wir beispielsweise die Stelle für den Notfallseelsorger Pfarrer Albrecht Roebke oder die Krankenhausseelsorge an der Kinderklinik mitsamt dem Geschwisterbetreuungsprojekt „Atempause“.

van Niekerk: Ganz so einfach ist es nicht. Wir müssen stark sondieren, was die Menschen spirituell brauchen. Das geht nur, wenn wir uns die Zeit zum Zuhören nehmen und jede Gelegenheit nutzen, um ins Gespräch zu kommen. Taufen, Konfirmation, Trauungen, Trauerfälle – all das sind Anknüpfungspunkte. Wir müssen deutlich machen, dass wir als Institution immer da sind: für jede Frage, für jeden Zweifel, für jede Kritik. Bei den Gottesdiensten bieten unsere Gemeinden inzwischen eine unglaubliche Vielfalt, um die Menschen zu erreichen – vom klassischen Sonntagsgottesdienst über Gospel bis hin zum Twittergottesdienst.

Ehmann: Ich möchte es so nennen: Wir schaffen Raum, um Mensch zu sein. Wir bieten einen Ort, an dem man abschalten kann und an dem kein Computer in Reichweite ist, kein Telefon. Wenn ich in den Gottesdienst gehe, dann singe und bete ich gerne mit; aber das muss ich nicht tun. Ich kann die Zeit auch nutzen, um ganz bei mir zu sein.

van Niekerk: Wir sind gerade in der Vorbereitung. Nur so viel: Es wird im Oktober eine zentrale Veranstaltung geben, bei der sich die 33 Gemeinden und Dienststellen einbringen. Nicht im Sinne eines Heldengedankens, sondern mit Blick auf die Frage, wie unsere Kirche in Zukunft aussehen soll.

van Niekerk: Er würde heute wie damals sagen: Schau' den Leuten aufs Maul, nimm' wahr, was um Dich herum passiert. Übertragen auf Kirche heißt das: Verschwende deine Zeit nicht mit Selbstbeschäftigung und nimm' die Menschen ernst, egal ob sie uns nahe stehen oder nicht.

Ehmann: Mach' die Schnauze auf, sei unbequem, kämpfe für deine Inhalte, aber höre den anderen zu.

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