Drachenfels, Radom und viel Obst und Gemüse Die Postkartenidylle zwischen Werthhoven und Züllighoven

Wachtberg · Züllighoven hat nur rund 280 Einwohner. Trotzdem wollen die Menschen sogar aus Neuseeland hierher ziehen. Eine Entdeckungstour.

 Beeindruckende Aussicht: Hinter den Feldern bei Werthhoven erheben sich Petersberg und Drachenfels mit Schloss Drachenburg.

Beeindruckende Aussicht: Hinter den Feldern bei Werthhoven erheben sich Petersberg und Drachenfels mit Schloss Drachenburg.

Foto: Hannah Schmitt

Die weiße Kugel weist den Weg. Wie ein überdimensionaler Golfball überragt sie Häuser und Straßen, Felder und Wälder. Das Radom, hinter dem sich das Weltraumbeobachtungsradar des Fraunhofer Instituts verbirgt, ist mit 49 Metern Durchmesser das größte der Welt - und steht mitten in der Gemeinde Wachtberg. Nur unweit von der Stelle, in die sich der Dartpfeil in die Karte gebohrt hat.

An dieser Stelle reiht sich Feld an Feld, Johannisbeerstrauch wächst neben Apfelbaum, Rübe neben Gerste. Aus der Luft betrachtet, muss es wie ein großer Flickenteppich aussehen. Obst und Gemüse gedeihen zwischen Werthhoven und Züllighoven in Massen, nur Menschen sind an diesem Nachmittag weit und breit keine zu sehen. Also den Geräuschen nach ab ins nächste Dorf: Züllighoven.

Schnell ist man "Im Ort". Sagt zumindest das Straßenschild. Ein paar Hundert Meter weiter steht eine Haustür offen, Claudia Engels pendelt zwischen Haus und Wohnwagen hin und her. "Ich vergleiche Züllighoven immer mit Bullerbü", erzählt die 51-Jährige. Will heißen: Jeder achte auf jeden, es gebe gleich viele Einwohner wie Tiere und eine herrliche Aussicht, sagt sie.

Auf Tour zwischen Werthhoven und Züllighoven
8 Bilder

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Engels wohnt seit 24 Jahren im Dorf, der Liebe wegen, und hat es "nie bereut". Nun wolle sogar ihre älteste Tochter wieder mit ihrem Freund aus Neuseeland herziehen. "Er kommt aus Kapstadt. Kapstadt, Auckland, Züllighoven - das spricht für sich." Denn Züllighoven habe nur rund 280 Einwohner. Engels lacht. Aber die Kapelle sei in Eigenleistung gebaut worden, und der Ort entwickele sich zum Kulturdorf, erzählt sie. Erst kürzlich verwandelte er sich in eine Freiluftausstellung.

Die Entdeckungstour geht weiter zum untersten Zipfel des Dorfs - und damit Richtung Rheinland-Pfalz. Der nächste Ort liegt bereits hinter der Landesgrenze. Nicht weit davon steht Ludwig Schüllers Haus. "500 Meter sind das, etwa drei Felder entfernt", sagt der 67-Jährige, der gerade seine Hecke in Form schneidet. Der Kernbach, der Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz an dieser Stelle trennt, ist vom Haus aus zu hören: leise gurgelnd bahnt er sich seinen Weg in einer Schneise zwischen Büschen und Bäumen. Sonst ist von der Grenze nichts zu spüren.

Nicht so wie damals, nach dem Zweiten Weltkrieg. "Da war hier britische Besatzungszone und dort französische", erzählt Schüller. "Da standen dort auch Schlagbäume, davon hat meine Mutter gesprochen." Heute ist das unvorstellbar. Und die Fahrt ins Nachbarbundesland nichts Besonderes. Aber Ludwig Schüller und seine Frau zieht es bei ihren Reisen ohnehin mehr auf ferne Kontinente wie Südamerika oder Australien.

Und was gibt es in Züllighoven zu entdecken? "Nette Leute, sonst nichts", sagt Schüller. Er überlegt kurz: "Einen Treff, eine Kläranlage und eine Kapelle." Wieder Pause. "Und das Tambourcorps, das gibt es schon lange." Bei genauerem Hinsehen gibt es noch etwas: Straßenschilder, die ins Nirgendwo weisen. Statt eines Ortsnamens herrscht Leere, nur ein schwarzer Pfeil ist zu sehen. Was das zu bedeuten hat? "Vielleicht weil dort direkt die Landesgrenze kommt?", mutmaßt Schüllers Frau.

Vielleicht aber auch, weil man Züllighoven offiziell nur über eine Straße erreicht. Außer man ist Landwirt. Und diese Straße führt nicht Richtung Rheinland-Pfalz, die führt nach Berkum. Das erzählt Stephan Schmitz. Er knattert am Ortsrand mit seinem Traktor über die stoppeligen Überbleibsel der Gerstenhalme. Der 35-Jährige lebt schon immer im Drachenfelser Ländchen, derzeit in Berkum, ist Feuerwehrmann in Bonn und arbeitet ab und zu auf dem Hof seiner Eltern. "Viele sagen, schöner als hier kann man doch eigentlich nicht leben. Warum fahren wir überhaupt in Urlaub?"

Wo sie Recht haben: Auf leichten Hügeln breitet sich das Ländchen aus, bietet zwischen Züllighoven und Werthhoven eine Postkartenidylle. Petersberg und Drachenfels erheben sich hinter den Feldern, das Radom lugt hinter den Wäldern hervor. Für Schmitz ist die Sache klar: Die Radarkuppel ist einer der interessantesten Orte in der Gegend - zusammen mit dem Rodderberg, einem ehemaligen Vulkan. "Falls das nicht zu weit vom Dartpfeil entfernt ist", sagt er.

Näher dran ist der Ort Werthhoven, auf dessen Gebiet das Radom steht. Die Strecke von Züllighoven ist schnell zurückgelegt. Noch immer ist niemand unterwegs, dafür versüßen Erdbeeren und Johannisbeeren den Weg. Mit Letzteren kennen sich gleich zwei Hubertus Wolfs aus. Seit drei Generationen baut die Familie Obst an, auch in der Nähe ihres Hofs in Werthhoven. Wolf junior trägt Arbeitskluft und marschiert durch die kühlen Lagerhallen. Die Räume erinnern an riesige Garagen, in denen sich meterhoch grüne Plastikkisten stapeln.

Die Mitarbeiter haben an diesem Tag Johannisbeeren geerntet, verkauft wird ein Großteil aber erst später. "Dann sind die Preise etwas höher", sagt der Junior, dessen Sohn ebenfalls Hubertus heißt, und erzählt von der richtigen Lagerung unter Schutzhüllen. Beim Thema Werthhoven winkt er allerdings ab. "Unsere Jakobus-Kapelle ist die älteste der Gemeinde, glaube ich", sagt er. Mehr wisse sein Vater, der sei schließlich einer der ersten Werthhovener.

Tatsächlich? Der Senior nickt. "Der erste männliche Werthhovener", klärt er auf. Wie das kam, ist schnell erzählt: Bis 1934 hieß Werthhoven noch Pissenheim. Ein Name, mit dem sich die Einwohner nur schlecht anfreunden konnten. "Es war ja kein appetitlicher Name", sagt der Senior. Also beantragten die Pissenheimer, das Dorf umzubenennen. Nach dem Werther Hof, der im Ort stand. Hubertus Wolf senior hatte das perfekte Timing: Kurz vor seiner Geburt kam 1934 nach langer Wartezeit die ersehnte Zusage aus Berlin. "Nur ein Mädchen war schneller als ich", sagt er. Verschwunden ist die alte Bezeichnung aber nicht: Im Dialekt heißt das Örtchen noch immer Pössem.

Wolf senior hat während seiner 78 Jahre in Werthhoven viel erlebt: den Einzug der Amerikaner, die Grenzkontrollen. "Aber unsere Felder konnten wir frei bearbeiten. Auch die, die zum Teil in Rheinland-Pfalz liegen. Man kannte sich ja." Und brachte gerne mal was aus dem Nachbarbundesland mit. "Vor allem Wein von der Ahr", sagt Wolf senior und lacht. "Aber der wurde oft beschlagnahmt."

Eine weitere Geschichte ist ihm im Gedächtnis geblieben. Die mit der Ansichtskarte. "Da weiß Friedrich Schreyer allerdings besser Bescheid", sagt er und verweist auf den letzten Lehrer, der an der kleinen Dorfschule unterrichtete. Also geht es wieder ein paar Straßen weiter.

Schreyer, 82 Jahre alt, hatte Ende der 50er Jahre Schüler vom ersten bis zum achten Schuljahr in der Klasse. "Ich wollte die kleine Schule kennenlernen, deshalb bin ich hergezogen", erzählt er auf seiner Terrasse bei einer Pause von der Gartenarbeit. "99 Quadratmeter groß war der Klassenraum in der alten Schule, da war alles drin, vom Ofen über das Büro bis zu den Unterrichtsmitteln."

Inzwischen ist Schreyer pensioniert, beschäftigt sich mit der Werthhovener Geschichte und hat auch an der Chronik mitgeschrieben. Die hat er extra aus dem Haus geholt. Beim Blättern bleibt er an einer schwarz-weißen Ansichtskarte aus den 20er Jahren hängen. Bissenheim steht darauf, nicht Pissenheim. "Ob es ein Druckfehler oder Absicht war, kann ich nicht sagen", sagt er und schmunzelt. Fakt ist: Der Ort wurde 770 nach Christus erstmals in einer Urkunde erwähnt und hat schon viele Namen gehabt, von Pisinheim über Piscenheim bis Pissunhem.

Mit der Zeit haben sich aber nicht nur die Namen verändert. "Inzwischen gibt es hier überhaupt keine Geschäfte mehr", sagt Schreyer. "Das ist jetzt alles zentral im Einkaufszentrum." Das EKZ habe die Geschäfte aber nicht abgelöst, betont er. Immerhin hat Werthhoven das Fraunhofer Institut. Den Aufbau des Radars hat Friedrich Schreyer noch miterlebt. "Wir kamen von einem Schulausflug zurück und da haben sie die Teile mit einem Kran hochgehievt", erinnert er sich. Das war 1966. Seither überragt der überdimensionale Golfball Häuser und Wälder. Und ist zum Wahrzeichen von Wachtberg geworden.

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