Spielsucht im Rhein-Sieg-Kreis "Die Stimme sagt: Spiel, spiel, spiel"

TROISDORF · Der Mensch lernt spielerisch - durch Versuch und Irrtum. Durch kreatives Ausprobieren entwickeln Kinder ihre Fähigkeiten, egal ob motorisch, kognitiv oder sozial. Spieltrieb nennen Verhaltenspsychologen das.

Den legen Heranwachsende nicht ab, auch Erwachsene spielen. Für Michael Barens, der in Wirklichkeit anders heißt und im rechtsrheinischen Rhein-Sieg-Kreis wohnt, wurde sein Spieltrieb zum Problem, das Spielen zur Sucht. Erst als er den Gegenwert eines Eigenheims verzockt hatte, suchte er Hilfe. Heute hilft er sich selbst und anderen - in einer Selbsthilfegruppe für Spielsüchtige.

Es begann alles ganz harmlos, irgendwann Ende der 60er, Anfang der 70er Jahre. Als Schüler wirft Barens seine erste Münze in einen Glücksspielautomaten. Groschengräber, wie der Volksmund die blinkenden Kästen in Kneipen und Spielhallen nennt. Wann genau daraus eine Sucht wurde, weiß er nicht. Doch schließlich spielt der heute über 60-Jährige fast täglich.

Immer wieder lockt die Hoffnung auf den Gewinn, auf das Erfolgserlebnis, auf den Adrenalinschub. "Ein Spieler sucht immer das Spiel", sagt Barens. "Er belügt dafür sich selbst und seine Familie." Als er seiner Familie die Spielsucht gesteht, hat er Unsummen verspielt. Der Familienvater sucht Hilfe. Das war vor fünf Jahren.

In Troisdorf treffen sich Barens und andere Spielsüchtige wöchentlich zu einer Gesprächsrunde. Hier sind sie unter sich, können sich austauschen: Über den Umgang mit ihrer Suchterkrankung, über Vermeidungsstrategien, über Probleme, die manchmal mit der Erkrankung einhergehen: Alkohol oder Depression zum Beispiel. Der Paritätische in Troisdorf stellt die Räume für die Gruppe.

"Wir haben festgestellt, dass uns das Gespräch unheimlich viel bringt", sagt Barens. "In der Familie fehlt oft das Verständnis, denn die Erkrankung ist von außen nicht nachzuvollziehen."

Tatsächlich ist schwer zu verstehen, warum Menschen spielen, bis im Extremfall die eigene Existenz bedroht oder zerstört ist. Auch Barens tut sich schwer damit. Die Medizin spricht von pathologischem oder zwanghaftem Spielen. Dem Erkrankten ist es schier unmöglich, dem Impuls zum Spiel zu widerstehen.

Von einem unbändigen Drang, spielen zu wollen, spricht Birte Holm-Smend, Teamleiterin der Suchtkrankenhilfe Siegburg und Eitorf des Caritasverbands im Rhein-Sieg-Kreis. Zwar gebe es unterschiedliche Ausprägungen, gemeinsam hätten die Erkrankten aber eine Flucht aus der Realität. Das sei typisch.

"Sie sehen Menschen beim Automatenspiel, die wirken wie weggetreten", sagt sie. Die meisten von ihnen, die sich an die Suchthilfe der Caritas wenden, haben ihre Sucht lange verheimlicht. Vor der Familie, vor dem Arbeitgeber, vor Freunden. In der Regel sei es deshalb schon eine Erleichterung für die Betroffenen, frei über ihr Problem zu sprechen. Wenn finanzielle Not und Schuldgefühle zu groß werden, wenden sich die Betroffenen an Beratungsstellen. "Im Extremfall sind für die Sucht dann schon mal Haus und Hof draufgegangen", so Holm-Smend.

Auch Jonas Fasser, der ebenfalls anders heißt, geht seine Krankheit offensiv an: Seit knapp fünf Jahren besucht er die Selbsthilfegruppe in Troisdorf. Der über 50-Jährige aus dem rechtsrheinischen Kreis verabscheut Alkohol, in eine Kneipe zieht es ihn nur zum Spielen - vor allem im Winter, wenn die Tage dunkel sind und der Frührentner nicht im Garten arbeiten kann.

"Ich habe das Gefühl, eine Stimme in meinem Kopf sagt mir immer wieder: spiel, spiel, spiel!", beschreibt er seine Sucht. Um ihr nicht mehr unkontrolliert zu verfallen, hat er die Geldkarte an seine Frau abgegeben und lässt sich das Geld einteilen.

Mehr als 70 Milliarden Euro wurden in Deutschland im Jahr 2013 für Glücksspiel ausgegeben, wie eine Untersuchung der Bundesländer ergab. Auf 100 000 bis 300 000 wird die Zahl der Suchtkranken hierzulande geschätzt. Aber besonders Jugendliche, die im Internet spielsüchtig werden, suchen nach Erfahrungen der Caritas nur selten Hilfe. Laut Holm-Smend war es im Kreis in den vergangenen Jahren nur eine Hand voll, meist auf Druck der Eltern.

Michael Barens sagt, dass er seine Spielsucht unter Kontrolle hat. "Ich spiele keine immensen Beträge mehr. Es kommt eher einem Hobby gleich." Doch die Krankheit ist tückisch, deshalb geht Barens weiter zur Selbsthilfegruppe.

Ansprechpartner im Kreis

An Spielsucht Erkrankte und deren Angehörige finden Ansprechpartner im Rhein-Sieg-Kreis unter anderem bei folgenden Kontaktstellen: Der Caritasverband für den Rhein-Sieg-Kreis bietet Suchtberatung an unter Tel. 0 22 41/1 20 93 02 sowie per E-Mail an suchtkrankenhilfe.siegburg@caritas-rheinsieg.de.

Der Paritätische in Troisdorf und ihre Selbsthilfegruppe sind erreichbar unter Tel. 0 22 41/94 99 99 oder per E-Mail an selbsthilfe-rhein-sieg@paritaet-nrw.org. Im Internet können sich Betroffene zudem an www.anonyme-spieler.org wenden.

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