Elisabeth Mertens aus Sankt Augustin 1945 zu Fuß zurück ins Rheinland

SANKT AUGUSTIN · "Was frag' ich viel nach Geld und Gut, wenn ich zufrieden bin!", singt Elisabeth Mertens, die am Sonntag 100 Jahre alt wurde. Sie wurde noch vor Beginn des Ersten Weltkrieges geboren und hat in ihrem Leben viel durchgemacht.

 Die 100-jährige Elisabeth Mertens (rechts) und ihre Tochter Margarete Bauch freuen sich über die Feier.

Die 100-jährige Elisabeth Mertens (rechts) und ihre Tochter Margarete Bauch freuen sich über die Feier.

Foto: Miebach

Bis zu ihrem 92. Lebensjahr konnte sie noch alleine zu Hause wohnen, ein Schlaganfall schränkte sie dann jedoch stark ein. "Doch sie ist sehr lebensfroh, diskutiert sogar noch über Politik und kennt von Volksliedern alle Strophen auswendig", sagt Elfriede Barhoff, Leiterin des Altenpflegeheimes, in dem Elisabeth Mertens nun lebt.

Singen war ihr schon immer wichtig. So sang sie zum Frieden nach dem Zweiten Weltkrieg mit allen Bonner Chören, die sich auf der Hofgartenwiese versammelt hatten. Sowohl den Ersten als auch den Zweiten Weltkrieg und auch die schweren Nachkriegsjahre hat sie noch gut in Erinnerung. "Da war Schmalhans Küchenmeister", erzählt sie.

Auch wie sie als junges Mädchen aus dem heimatlichen Rheinland fliehen musste, weiß sie noch genau. Ihr Vater arbeitete bei der Eisenbahn und wollte nicht für die Franzosen bei der Demontage im Ruhrgebiet mithelfen, wie es im Versailler Vertrag stand. Die Familie musste ihre Heimatstadt Bonn dann innerhalb von vier Stunden verlassen und zog für ein Jahr zur Großmutter nach Ostpreußen. Dort traf Mertens sogar auf Paul von Hindenburg. In ihrem weißen Kleid fiel sie dem berühmten Feldmarschall so sehr auf, dass er sie persönlich ansprach. "Du kommst nicht von hier", sagte Hindenburg. Er soll später sogar mit der Familie im Garten Kaffee getrunken haben.

Dem Rheinland musste Mertens nur noch einmal den Rücken kehren. 1944 wurden sie, ihre Tochter Margarete und ihr Sohn Kurt-Wilhelm nach Thüringen gebracht. Nach neun Monaten lief sie mit dem Kinderwagen den ganzen Weg zurück nach Bonn. "Es fuhren ja keine Züge", sagt sie, als wäre es eine Selbstverständlichkeit, rund 400 Kilometer zu Fuß zu gehen. Als sie sich eines Nachts im Feld versteckten, fing die kleine Margarete an zu weinen. Die Tochter erinnert sich noch heute an die leisen Worte der Mutter: "Sei still, die Russen kommen." Bei Bauern mussten sie sich unterwegs ein Stückchen Brot erbetteln, doch einmal schenkte ihnen ein amerikanischer Soldat Schokolade. Zurück in Bonn, dann der Schock: "Wie ich nach Hause kam, war alles weg", erzählt Mertens. Ins Schlafzimmer war eine Bombe gefallen und die Nachbarin hatte den Herd geklaut. Den holten sie sich jedoch wieder und brieten darauf das Kaninchen der Nachbarin. "So war das damals", erzählt die Tochter.

Es folgten noch zwei weitere Kinder, später kamen Enkel und Urenkel dazu. Anfang der 60er Jahre zog Elisabeth Mertens nach Siegburg. Dort erlebte sie auch das für sie besonders schwere Jahr 1969. Innerhalb von drei Monaten starben ihr Mann, ihr Vater und ihr Bruder.

Jahre später zog sie mit ihrem neuen Lebensgefährten nach Rheinbrohl. Mit ihm zusammen unternahm sie viele interessante Reisen. Am liebsten fuhr Elisabeth Mertens an den Lago Maggiore und besuchte ihre Nichte in Mailand.

Bevor sie nach Birlinghoven ins Seniorenheim zog, lebte sie noch einige Jahre in Meckenheim. Ihr Rezept, um so alt zu werden: "Man sollte versuchen, jeden Tag zu genießen, auch wenn es schwierig ist und dankbar sein, für das, was man hat."

Jetzt ist sie dankbar, dass sie ihren 100. Geburtstag erleben durfte und erinnert sich an die letzten Zeilen ihres Lieblingsliedes: "Gibt Gott mir nur gesundes Blut, so hab' ich frohen Sinn. Und sing' mit dankbarem Gemüt mein Morgen- und mein Abendlied."

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