Philosophiejournalist in Rheinbach Richard David Precht zu Gast in der Stadthalle

RHEINBACH · Sokrates soll seine Athener Mitbürger häufig auf der Straße gefragt haben: "Was ist das?" Ähnlich findet Philosophiejournalist Richard David Precht seine Themen auf dem Boulevard.

 Philosophiejournalist Richard David Precht sprach mit den Gästen in der Rheinbacher Stadthalle.

Philosophiejournalist Richard David Precht sprach mit den Gästen in der Rheinbacher Stadthalle.

Foto: Roland Kohls

Am Donnerstagabend sprach er als Gast der Volkshochschule in der Rheinbacher Stadthalle zum Thema "Digital schafft die Gesellschaft" und erörterte die Auswirkungen der Digitalisierung fast aller Lebensbereiche.

Precht analysiert eine vierte industrielle Revolution durch die Vernetzung der Daten untereinander und die Vernetzung der gesamten Industrie. Ähnlich krempelte in der ersten industriellen Revolution 1830 bis 1870 die Einführung der Dampfmaschine die bäuerliche Gesellschaft radikal um. Doch anders als vorhergehende industrielle Revolutionen werde die vierte zu einer Massenarbeitslosigkeit führen, "die alles sprengt, was bisher da gewesen ist". Die Digitalisierung löse die Dienstleistungsgesellschaft auf. Flüge werden immer seltener bei Reisebüros gebucht, Bankgeschäfte ebenso am heimischen Computer erledigt wie Steuererklärungen - früher die Arbeit ganzer Berufsstände.

3-D-Drucker können die Herstellung von Möbeln oder Bohrmaschinen übernehmen. Hausärzte müssen sich wegen der Gesundheitsberatung im Netz als Lebensberater umorientieren. In Japan kommt die Altenpflege fast ohne Personal aus. Gesundheitsversorgung funktioniert dabei mittels Sensoren. Sogar die Bettpfanne ist automatisiert. Precht sagte auch das Ende der klassischen deutschen Automobilindustrie voraus, weil künftig kleine, computergesteuerte Elektromobile aus Zellstoff und Carbon - per Smartphone-App bestellt - Personen transportieren werden.

Google-Boss Eric Schmidt hat ihn überzeugt. Dieses "autonome Fahren" ist dem Individualverkehr mit schweren Geländewagen haushoch überlegen. Unfälle und Parkplatzmangel werden der Vergangenheit angehören.

Künftig reicht ein Zehntel der Autos, da nur noch die gebraucht werden, die gerade fahren. Precht prognostizierte etwa zwei Millionen Arbeitslose als Folge allein dadurch. Doch ist für ihn Arbeitslosigkeit nichts Schlimmes. Man muss nur "das, was Arbeit ist, umdefinieren. Alles, was du tust, ist Arbeit", könnte die Lösung lauten. Allerdings vermisst der Philosophiejournalist die politische Gestaltung. "Wir leben in einer komplett zukunftsvergessenen Gesellschaft", klagte er und: "Wir erleben den Sieg der Taktik über die Strategie".

Dennoch outete er sich als Fan von Angela Merkel. Die Kanzlerin wird Gelderwerb und Arbeit durch die Einführung des bedingungslosen Grundeinkommens entkoppeln, erwartet er. Aber Geld löse die Sinnfrage nicht. Schüler müssten anders aufs Leben vorbereitet werden. "Man muss zum Projektmanager seiner selbst werden", schlug Precht vor. In einer lebhaften Diskussion verlangte eine Dame dafür die Hilfe der Philosophen. Doch laut Precht finden diese häufig keine Plattform, da etwa in Talkshows nur kurze, schnelle Antworten abgefragt werden. Die Philosophie aber bezeichnete er als "langwieriges und mühseliges Geschäft". Und Sokrates, der sich eingemischt hatte, musste ja bekanntlich den giftigen Schierlingsbecher trinken.

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