Wanderungen in Königswinter Spuren des Krieges sind noch heute sichtbar

KÖNIGSWINTER · Jakob Sieger mag Geschichten. Er mag es zudem, wenn sie wahr sind. Wenn aus einem Detail ein Stück Historie rekonstruierbar wird. Oder zumindest eine solide Basis für einen Verdacht, wie Geschichte sich zugetragen haben könnte. Beides trennt er strikt voneinander.

 Immer auf der Suche nach Geschichten: Jakob Sieger aus Königswinter mit Weinflaschen, die vermutlich Soldaten im Zweiten Weltkrieg im Siebengebirge hinterließen, und einem Soldaten aus Pappmaché.

Immer auf der Suche nach Geschichten: Jakob Sieger aus Königswinter mit Weinflaschen, die vermutlich Soldaten im Zweiten Weltkrieg im Siebengebirge hinterließen, und einem Soldaten aus Pappmaché.

"Man muss aufpassen, wenn es um Geschichte geht." Als Kind der Nachkriegszeit verbrachte er viel Zeit bei seinen Großeltern, die in Rottbitze die Wirtschaft "Haus Anna" führten. "Für uns Jungs war dort alles zu finden, was das Herz begehrt", sagt der Schreibwarenhändler aus Königswinter. Wenn ihm im Nachhinein auch manchmal der Gedanke kommt, was alles hätte passieren können in dieser Zeit.

Die Relikte des Zweiten Weltkrieges, dessen Ende sich in diesem Jahr zum 70. Mal jährt, waren an einigen Stellen am nahe gelegenen Asberg zu finden. Aus den Feuerstellungen, von denen die sogenannten "Vergeltungswaffen" abgeschossen werden sollten, pumpten er und die Freunde das Regenwasser. Und sie stromerten durch die Wälder auf der Suche nach spannenden Überresten der Schlacht um die Brücke von Remagen.

Die Neugierde lässt Jakob Sieger seit dieser Zeit nicht los. "Es ist erstaunlich, was man noch heute sehen kann, wenn man nur genau hinschaut." Auf einer seiner regelmäßigen Wanderungen sieht er in der Nähe des Kasbachtals ein seltsames verrostetes Gebilde: ein Maschinengewehr. Er fotografiert es. Er betrachtet es näher. Er recherchiert. Er findet heraus, dass es eine französische Waffe ist, "die aber zu seiner Zeit wenig taugte".

Deshalb verkauften die Franzosen es in die Tschechoslowakei. Als die Nazis Teile der Tschechoslowakei besetzten, klaubten sie jegliches Kriegsmaterial zusammen, was ihnen nützlich erschien und schafften es Richtung Front. "Es spricht viel dafür, dass Soldaten das Gewehr im Steinbruch ausprobieren sollten und es dann wegwarfen", sagt Sieger.

Für ihn ein Anzeichen dafür, wie es in den letzten Monaten des Krieges in den Köpfen der deutschen Soldaten ausgesehen haben muss: "Die hatten keine Lust mehr." Wie der Zufall so will, findet er den Typ des Gewehres später auf einer Inventarliste für den 1969 erschienen, nahe Prag gedrehten Kriegsfilm Die Brücke von Remagen. "Ist das nicht erstaunlich? Das konnte der Ausstatter doch nicht wissen." Bei einem anderen Spaziergang sieht Jakob Sieger Vertiefungen im Wald, in denen lauter Flaschen liegen. Überbleibsel eines Trinkgelages, wie er vermutet. Die Weinflaschen waren typisch für die 1930er-Jahre. Und in Veteranenbriefen liest der Königswinterer nach, dass die amerikanischen Soldaten sich an die "Cases of Rhine-Wine" erinnern.

Auf dem Linzer Flohmarkt sieht er zwei Bände des Science-Fiction-Autors Hans Dominik, die ihm fehlen. Der Verkäufer will ihm ein Buch nicht verkaufen, weil es dreckig ist. Sieger schlägt es auf und sieht auf einer Seite einen deutlichen Stiefelabdruck, "ein Fallschirmjägerstiefel", wie er später herausfindet. Wie der da reingekommen ist, will er wissen.

Da erzählt der Verkäufer, dass die Alliierten das Wohnzimmer der Familie als Anlaufstation für die Truppenversorgung benutzten. Die Bücher schmissen sie aus dem Fenster, weil sie den Platz brauchten. Ein Soldat muss einfach drübergelaufen sein, bevor das Buch wieder eingesammelt wurde. Geschichten über Geschichten, Details über Details, die Jakob Sieger auf Anfrage von Heimatvereinen gerne bei Führungen erläutert. "Das Tolle", sagt er, "ist immer die Story."

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