Interview mit dem Alt-Bürgermeister von Wittichenau Peter Schowtka: "Ein erhebendes Gefühl der Freiheit"

Siebengebirge · Peter Schowtka war kein Freund des SED-Regimes. Es verweigerte ihm nach dem Studium das Diplom, weil er "gesellschaftlich unreif" sei. Nach dem Mauerfall war er von 1990 bis 1994 erster Bürgermeister von Wittichenau, der Partnerstadt Bad Honnefs. Am Montag ist er Gast beim Zeitzeugengespräch zum 25. Jahrestag des Mauerfalls.

 Friedliche Revolution: An den Demonstrationen, wie hier 1989 in Leipzig, beteiligten sich auch die Bewohner Wittichenaus. Die Proteste führten letztlich zum Fall der Mauer.

Friedliche Revolution: An den Demonstrationen, wie hier 1989 in Leipzig, beteiligten sich auch die Bewohner Wittichenaus. Die Proteste führten letztlich zum Fall der Mauer.

Foto: dpa

Wo waren Sie gerade, als am 9. November 1989 die Mauer fiel?
Peter Schowtka: Wir saßen mit einer Lehrerin bei uns in der Wohnung und haben ein Gespräch über unsere Tochter geführt.

Gab's Probleme?
Schowtka: Nein, es war ein Routinegespräch. Jedenfalls habe ich deshalb erst mit zwei, drei Stunden Verspätung aus der Tagesschau erfahren, was passiert war.

Was haben Sie damals empfunden, Sie galten ja nicht gerade als großer Verehrer des Sozialismus?
Schowtka: Dieses Ereignis war für mich keine große Überraschung mehr nach den vorangegangenen Demonstrationen im Oktober, die in Leipzig ihren Anfang nahmen. Mit Honeckers Rücktritt und der Einführung des schwachen Egon Krenz als Nachfolger war das Schicksal der DDR besiegelt.

Hat man sich in Wittichenau mit seinen wenigen Tausend Einwohnern an den Protesten beteiligt?
Schowtka: Man hat. Und das durch reine Mundpropaganda und ganz ohne Facebook oder sonstige technischen Mittel. Es kamen 5000 Leute am Abend des 30. Oktober zusammen, um für eine Stunde durch die Straßen der Stadt zu ziehen. Wittichenau galt dem Regime schon vorher als Stachel im Fleisch des Sozialismus. Hier gab es nur wenige SED-Mitglieder.

War es gefährlich für die Beteiligten?
Schowtka: Dass die Polizei in einigen Straßen unterwegs war, kann ich nicht ausschließen, aber zu sehen war niemand. Wir haben vor lauter Euphorie auch gar nicht groß darauf geachtet. Es war für uns alle ein erhebendes Gefühl, lautstark unsere Freiheit zu fordern.

Sie hatten ein gespaltenes Verhältnis zum DDR-Regime, dennoch durften Sie in den 60er Jahren studieren...
Schowtka: Ich kam aus einer Bauernfamilie, deshalb durfte ich in Rostock Lateinamerikawissenschaften studieren. Wie viele junge Menschen in der DDR blickte ich 1968 aber mit einer gewissen Erwartungshaltung auf die Reformbewegungen des Prager Frühlings. Ich erfuhr dann, dass es zeitweilig zehn Kommilitonen gegeben haben soll, die mich überwachen sollten. Irgendwann bat man mich zum Gespräch und erklärte mir, dass ich zwar die Voraussetzungen für den Uniabschluss, aber nicht den notwendigen gesellschaftlichen Reifegrad mitbrächte. Man verweigerte mir trotz fünfjährigen Studiums das Diplom.

Sie durften aber dennoch als Dolmetscher arbeiten?
Schowtka: In gewisser Weise brauchte man mich, denn zu dieser Zeit gab es Austauschprogramme mit Mosambik und Angola, aber kaum jemanden, der sich mit den Kohlekumpeln aus Afrika unterhalten konnte. Ich hatte eben Portugiesisch gelernt.

Wie kamen Sie nach dem Mauerfall ins Bürgermeisteramt?
Schowtka: Eigentlich hatte ich bereits zwei Monate im Entwicklungshilfeministerium einen Job. Aber viele Bürger baten mich vor den Kommunalwahlen 1990, den Job zu übernehmen. Da habe ich mich breitschlagen lassen, in einer stark von Enthusiasmus geprägten Zeit. Die Blaupausen für Pläne, was nach dem Sozialismus anders laufen muss, hatten wir ja schon im Schreibtisch liegen. Es war eine spannende Aufgabe, bei der uns die Stadt Bad Honnef sehr mit ihrem Knowhow geholfen hat, etwa beim Aufbau einer neuen Erdgasleitung. Für meine Generation war der Abschied vom Sozialismus sicher nicht ganz einfach. Viele der Bergbauer im nahen Hoyerswerda verloren ihre Jobs. Aber die Jungen nutzten ihre Freiheit und zogen in den Westen. Auch dabei hat uns Bad Honnef unterstützt. Zwei Kfz-Meister, die immer noch eine Werkstatt in Wittichenau betreiben, haben ihr Handwerk hier gelernt.

Zur Person

Peter Schowtka (Jahrgang 1945) war von 1990 bis 1994 Bürgermeister in Wittichenau und von 1991 bis 2014 Mitglied des sächsischen Landtages. Nach dem Abitur mit Berufsausbildung als Betonbauer studierte er von 1964 bis 1969 Lateinamerikawissenschaften an der Uni Rostock. Als Student war er Sprecher der katholischen Studentengemeinden in der DDR. Am Ende seines Studiums wurde ihm das Diplom von der DDR "mangels gesellschaftlicher Reife" verweigert.

Zeitzeugengespräch

Peter Schowtka ist zum 25. Jahrestag des Mauerfalls am Montag, 3. November, um 19.30 Uhr im Ratssaal im Rathaus in Bad Honnef zu Gast. Zur Einführung spricht Corinna Franz, Geschäftsführerin der Stiftung Bundeskanzler Adenauer-Haus, über "Konrad Adenauer und die deutsche Einheit". Alle Interessierten sind eingeladen. Der Eintritt ist frei. Die Veranstaltung wird in Kooperation mit dem Partnerschaftsverein Bad Honnef - Wittichenau organisiert.

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