Interview mit Annette Weißkircher von der Alanus Hochschule "Zu einer eigenen Harmonie kommen"

ALFTER · Bewegung gegen Stress: Mit einer speziellen Therapie will Annette Weißkircher, Professorin für Eurythmietherapie an der Alanus Hochschule, mit ihrem Team dem Leiden entgegenwirken. Für ihre Studie werden allerdings noch Probanden gesucht. Über Stress, Körperharmonie und innere Gelassenheit sprach Weißkircher mit Christoph Meurer.

 Expertin für Eurythmietherapie: Annette Weißkircher.

Expertin für Eurythmietherapie: Annette Weißkircher.

Foto: Wolfgang Henry

Frau Professor Weißkircher, was ist eigentlich Stress?
Annette Weißkircher: Jeder Mensch hat sicher eine andere Vorstellung von Stress. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) definiert Stress allerdings als die schwierigste Gesundheitsgefahr im 21. Jahrhundert. Das Problem mit Stress ist, dass er keinen körperlichen Grund hat, sondern seelisch bedingt ist. Ganz bestimmte Symptome wie hohen Blutdruck oder Herzklopfen hatten die Menschen auch schon in früheren Zeiten, etwa wenn sie auf der Flucht oder in Gefahr waren. Von Stress konnte man damals aber nicht sprechen, weil die Menschen nach der Gefahrensituation wieder zur Ruhe kommen konnten. Das ist bei Stress anders.

Stress ist also ein modernes Phänomen?
Weißkircher: Absolut. Die WHO spricht bereits von einer Volkskrankheit.

Welchen Ansatz verfolgen Sie und Ihr Team gegen Stress?
Weißkircher: Die Eurythmie und Eurythmietherapie gibt es seit 100 Jahren. Die Idee dahinter ist, Bewegungen nicht nur mechanisch oder gymnastisch auszuführen, sondern ganzheitlich. Nicht nur der Körper soll angesprochen werden, sondern auch Seele und Geist. Das entspricht auch dem modernen Ansatz einer Medizin für Körper und Geist.

Also sollen körperliche Übungen auf den Geist einwirken?
Weißkircher: Genau. Wir machen Bewegungen, bei denen eine körperliche Harmonie hergestellt werden muss, etwa durch An- und Entspannung des Körpers. Durch Stress spannt sich der Körper an, und nun soll gelernt werden, wie man sich mittels der Übungen wieder entspannen kann. Dazu kommt die seelische Ebene. Die Übungen sollen auch Gelassenheit transportieren. Es geht darum, einen positiven Stress zu entwickeln, eine positive Kraft, um Dinge zu verändern. Die Menschen sollen Stresssituationen von vorneherein anders angehen.

Können aus der Studie auch Übungen entstehen, die man im Alltag anwenden kann?
Weißkircher: Wir werden die Probanden bitten, fünf bis zehn Minuten am Tag zu üben. Die Muster, die sie dabei verinnerlichen, können sie dann in Stresssituationen anwenden.

Inwieweit ist Ihr Ansatz interdisziplinär?
Weißkircher: Der Arzt Urs Pohlmann vertritt den medizinischen Aspekt der Studie. Er wird die ersten Gespräche führen und die Studie begleiten.

Was erwartet die Probanden?
Weißkircher: Sie dürfen erwarten, dass wir sie empathisch empfangen, dass wir ein Verständnis für sie und ihre Situation haben. Die speziell entwickelten Übungen werden im Stehen oder Sitzen gemacht. Wir beobachten dann, wie die Probanden in eine gesunde Form von Spannung und Entspannung kommen, wie sie ihre Atmung regulieren und zu einer eigenen Harmonie kommen.

Nun hat jeder Mensch mit Sicherheit eine andere Vorstellung davon, was Stress ist. Wie wollen Sie auf die unterschiedlichen Situationen der Probanden eingehen?
Weißkircher: Wir greifen die individuellen Probleme auf, die die Probanden mitbringen. Normalerweise wird in der Eurythmietherapie einzeln gearbeitet. Wir haben aber gemerkt, dass es bei Stress bestimmte allgemeine Faktoren gibt, etwa Herz- und Atemaktivität. Diese wollen wir gezielt bearbeiten. Außerdem sollen die Menschen über ihre Form von Stress sprechen können. Das wird dann mit eingebunden.

Wer kann Proband für die Studie werden?
Weißkircher: Es sollen Erwachsene sein, die merken, dass bei ihnen Stress vorliegt und die sich etwa innerlich gehetzt fühlen. Sie sollen aber nicht an einer tiefen Depression oder einem Burn-out leiden. Solchen Menschen können wir auch helfen, aber nicht im Rahmen der Gruppenstudie. Hier geht es um Prophylaxe.

Zur Person

Annette Weißkircher wurde 1955 in Bonn-Bad Godesberg geboren. Nach dem Studium der Eurythmie und Eurythmietherapie in Deutschland und der Schweiz realisierte sie unter anderem eurythmische Bühnenprojekte im In- und Ausland. Auch erarbeitete sie Eurythmieworkshops, etwa für Kleinkinder zur Sprachförderung oder für Erwachsene zur Stressprophylaxe.

Ab 2003 baute Weißkircher an der Alanus Hochschule den weltweit ersten Masterstudiengang in Eurythmie mit dem Schwerpunkt Eurythmietherapie auf und hat seit 2008 die erste Professur für Eurythmietherapie an der Hochschule inne.

Informationsabend

Für Menschen, die sich für die Studie zur Verfügung stellen wollen, gibt es am Montag, 6. Oktober, einen Infoabend im Campus I (Johannishof) der Alanus Hochschule. Beginn ist um 18 Uhr im Eurythmieraum (Holzhaus 8).

Anmeldung: Tel. 0 22 22/93 21 18 64 oder an: kristian.schneider@alanus.edu.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort