Rhabarber-Schlitten Vor 100 Jahren ging die Kleinbahn in Betrieb

RHEIN-SIEG-KREIS · Wenn sich der "Rhabarber-Schlitten" morgens gegen 7 Uhr von Troisdorf in Richtung Niederkassel in Bewegung setzt und ungefähr zwei Stunden später wieder die Rückfahrt zum Anschlussbahnhof in Troisdorf antritt, steht der Verkehr für kurze Zeit an unzähligen unbeschrankten Bahnübergängen auf der Strecke still.

Nach dieser Fahrt hat die Diesel-Lok mit den sieben Waggons, auf denen große Tanks liegen, in der Regel schon ihr Tagwerk erledigt. Ein zweites Mal werde sie nur bei Bedarf genutzt, sagt Michael Horn von Evonik. Das Chemie-Unternehmen ist mit seinem Standort in Niederkassel-Lülsdorf der einzige Nutzer der Kleinbahn. Ihr Vorgänger, der sogenannte Rhabarber-Schlitten, wäre in diesem Jahr 100 Jahre alt geworden und fuhr früher von Zündorf über Niederkassel und Troisdorf bis nach Siegburg.

Die Wildermann Werke, aus denen das Lülsdorfer Standbein der Evonik hervorgegangen ist, wünschten sich nach der Gründung der Fabrik in Mülheim an der Ruhr 1913 und der ein Jahr später in Lülsdorf eingeweihten Produktionsstätte eine gute Infrastruktur. Sie machten Druck auf die Rheinisch-Westfälischen Elektrizitätswerke (RWE), die mit der Ausführung der Bahnstrecke betraut waren, berichtet Horn.

Nach der Eröffnung der Strecke Troisdorf, Sieglar, Mondorf, Niederkassel bis nach Zündorf sei diese schnell vom Güterverkehr angenommen worden, zitiert Kreisarchivarin Claudia Maria Arndt aus dem Siegburger Kreisblatt von 1914 im aktuellen Jahrbuch des Rhein-Sieg-Kreises. Neben diesem Teilstück für den Güterverkehr sollte jedoch auch der Transport von Personen auf der Strecke möglich sein, und zwei Monate später, am 25. Mai 1914, wurde die Strecke von Lülsdorf über Sieglar bis nach Siegburg in Betrieb genommen.

Genau dorthin brachten die Bauern mit dem Zug ihre Waren, um sie auf dem Markt in Siegburg zum Verkauf anzubieten. Da Rhabarber das bevorzugte Gemüse dieser Zeit war, das in Mondorf, Rheidt und Niederkassel angebaut wurde, nannten die Menschen den Zug "Rhabarber-Schlitten".

Im Jahrbuch des Kreises schreibt die Archivarin zum einen davon, dass der Zug von den Menschen sehr gut angenommen und die Taktfrequenz sogar erhöht wurde. Man habe jedoch zu dieser Zeit auch viel von Beschwerden der Nutzer gehört. So fuhr der Zug angeblich viel zu schnell durch die Siegburger Innenstadt, das Personal galt als unfreundlich und der Fahrplan sei in den seltensten Fällen eingehalten worden. Schließlich nahm der Individualverkehr mit dem Auto immer mehr zu und bereits in den 50er Jahren überlegte man, die Linie stillzulegen.

Adolf Becker, der inzwischen verstorbene ehemalige Geschäftsführer der Rhein-Sieg-Verkehrsgesellschaft (RSVG), schreibt in seinem Buch über die Kleinbahn Siegburg-Zündorf, dass die Bahn am 30. April 1963 in den Besitz des Kreises übergehen sollte. Ebenso wurde die Umstellung auf den Omnibus 1963 beschlossen. Stück um Stück bis 1965 wurde dann der Personenverkehr eingestellt.

In Zeiten der anstehenden Brückensanierungen und der befürchteten langen Staus bekommt die Diskussion über die Wiederbelebung der Trasse heute neuen Schub. Allen voran wirbt der Leiter des Planungsamtes im Kreis, Mehmet Sarikaya, gemeinsam mit dem für den Öffentlichen Personennahverkehr zuständigen Mitarbeiter im Planungsamt, Christoph Groneck, für die teilweise Wiederbelebung der einstigen Kleinbahn.

Die Niederkasseler Busse, wie der Schnellbus 501, sind zwar morgens und abends übervoll, dennoch nutzen ihn nur sechs Prozent der Niederkasseler, so die ÖPNV-Statistik. Schienenverkehr würde nach Meinung der Planer die Quote in der größten Kommune im Verkehrsverbund Rhein-Sieg ohne Bahnanschluss entscheidend verbessern. Links und rechts der Bahntrasse seien die Häuser "wie an einer Perlenschnur aufgereiht", heißt es im Jahrbuch-Beitrag der beiden - das sei optimal für das Verhältnis von Aufwand und Nutzen.

Ein großes Hindernis sei hingegen die fehlende Anbindung an die Schienennetze in Bonn und Köln, die historisch bedingt sei. Die Siegauenbrücke sollte deshalb für den Bahnverkehr ausgebaut werden. Das sei schon für den Bundesverkehrswegeplan 2015 angemeldet. Was fehlt, sei "eine gemeinsam abgestimmte Zielvorstellung der vielen beteiligten Akteure". Der Gedanke an sich ist nicht neu und wurde auch bereits vor mehr als zehn Jahren diskutiert und wieder verworfen. Für die Verkehrsplaner Sarikaya und Groneck wird es jetzt "höchste Zeit, zukunftsweisende Investitionen für den öffentlichen Verkehr auf den Weg zu bringen."

Das Transportgut

Gut 18 Kilometer fährt die 60 Tonnen schwere Diesellok der RSVG. An ihr hängen sieben Tanks, die in der Regel mit Alkoholat-Lösungen, die als Katalysator für Biodiesel dienen, oder mit Alkalilaugen befüllt sind. In Gegenrichtung, vom Güterbahnhof Troisdorf zum Evonik-Standort nach Lülsdorf, werden hingegen Rohstoffe wie Kaliumchlorid transportiert, das zur im Werk betriebenen Elektrolyse benötigt wird.

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