Hilfe für Geburtshelferinnen Freiberufliche Hebammen fürchten um ihren Beruf

RHEIN-SIEG-KREIS · Timo gähnt herzhaft, Neele fordert lautstark Nahrung ein, und Mariam genießt die Nähe ihrer Mama. Die erzählt, wie es war, als sie ihre Tochter vor zehn Wochen zur Welt gebracht hat. Zu Hause, ganz intim, nur mit ihrem Mann und ihrer Hebamme: "Ich kann mir das gar nicht anders vorstellen und würde es sofort wieder so machen", sagt sie beim Nachtreffen mit anderen Eltern aus der Region in der Bonner Hebammenpraxis Storch & Co.

 Gemeinsam stark: Lisa von Reiche (3. v.r.)und Kollegin inmitten glücklicher Eltern und Babys.

Gemeinsam stark: Lisa von Reiche (3. v.r.)und Kollegin inmitten glücklicher Eltern und Babys.

Foto: Quadt

Ob sie dazu Gelegenheit hat, ist indes fraglich. Wenn nichts geschieht, bietet ab dem 1. Juli 2016 kein Versicherer mehr eine Berufshaftpflicht für Hebammen an. Da die aber zur Versicherung verpflichtet sind, würde dies das Ende freiberuflicher und damit individueller Geburtshilfe bedeuten.

Svenja Otte betreibt mit ihrer Kollegin Birgit Kirchner die Hebammenpraxis Storchennest im Siebengebirge. Geburtshilfe bietet sie bereits seit längerer Zeit nicht mehr an - zu hoch waren die Prämien für die Berufshaftpflicht. Ob sie die Betreuung schwangerer Frauen in Zukunft fortführen kann, weiß sie nicht. "Ich selber erwarte mein zweites Kind. Ich könnte daher in Zukunft nur halbtags arbeiten. Da die Versicherungsbeiträge aber gleich bleiben, müsste ich unterm Strich wohl draufzahlen", sagt Otte.

Wie ihr gehe es auch anderen Kolleginnen. Dabei sei die Nachfrage nach persönlicher Betreuung in der Schwangerschaft in Bad Honnef und Königswinter hoch. "Meine Kollegin und ich können die ganzen Anfragen heute schon gar nicht mehr bedienen." Frauen, denen sie von ihrer Situation berichtet, seien oftmals bestürzt, "vor allem, wenn sie vorhaben, in einer weiteren Schwangerschaft wiederzukommen", so Otte. Für viele sei eine Eins-zu-eins-Betreuung unverzichtbar.

"Unsere Arbeit ist umfassend, individuell, sehr persönlich und mit hoher Verantwortung verbunden", sagt Lisa von Reiche, die seit 23 Jahren als freiberufliche Hebamme in der Region arbeitet und als Schatzmeisterin im Verein Hebammen für Deutschland e.V. für finanzierbare Arbeitsbedingungen für sich und ihre Kolleginnen kämpft. Hebammen begleiten die Frauen während der Schwangerschaft, bereiten sie auf die Geburt vor, helfen dabei, das Kind auf die Welt zu bringen, und sind auch in der Zeit danach stets zur Stelle, wenn die Familie Hilfe braucht.

"Das Prinzip der Beleghebamme ist für uns Gold wert gewesen", sagen die Eltern des neun Wochen alten Timo. Der sollte wie Mariam zu Hause auf die Welt kommen. Im Verlauf der Hausgeburt kam es zu Komplikationen, weshalb Hebamme Lisa von Reiche den Eltern riet, ins Sieglarer Krankenhaus zu wechseln. Dort ist sie Beleghebamme und half bei Timos Geburt. "Es ist schön, dass wir von der Geburtsvorbereitung bis hin zur Wochenbettbetreuung immer die gleiche, vertraute Person an unserer Seite wussten und wissen."

Dass dieser Arbeit mangels angemessener Bezahlung die Wertschätzung verweigert wird, verstehen Neeles Eltern nicht. "Wir hatten die beste Unterstützung, wussten immer genau, was geschieht, haben nichts vermisst und uns nie alleine gefühlt", berichten sie. "Die meisten Hebammen machen ihren Beruf aus Leidenschaft, aber wir müssen auch davon leben können", sagt Lisa von Reiche. Rund 250 Hebammen arbeiten in der Region Bonn/Rhein-Sieg, drei Viertel freiberuflich. Die Geburtshilfe sei hier noch vergleichsweise gut aufgestellt.

Aber auch in der Region haben Hebammen schon das Handtuch geworfen, die Geburtsbegleitung aufgegeben. Damit gehe den Eltern immer mehr ein verbrieftes Recht auf freie Wahl von Hebamme und Geburtsort verloren. "Jeder Frau wäre eine Eins-zu-eins-Betreuung zu wünschen, die ist in Kliniken aber aus Personalmangel oft nicht zu leisten", sagt von Reiche. Stattdessen würde zunehmend zu Routine, was ursprünglich für Notfälle gedacht war, wie Geburtseinleitungen, Wehentropf und Kaiserschnitte.

Auch wenn die Zukunft der Hebammen derzeit ungewiss ist, Sarah Kierdorf hat ihren Berufswunsch nie infrage gestellt. "Viele haben in der Schule diskutiert, ob unsere Ausbildung Sinn macht", sagt die Hebammenschülerin, die bei Storch & Co. ihren außerklinischen Einsatz absolviert. Sie nicht, sie ist zuversichtlich: "Es muss eine Lösung gefunden werden."

Hebammen für Deutschland

Seit 2010 setzt sich Hebammen für Deutschland e.V. für den Erhalt individueller Geburtshilfe ein. Fortlaufend steigende Berufshaftpflichtprämien bei gleichbleibender Bezahlung durch die Krankenkassen (bis zu 6363 Euro pro Jahr bei einem Stundenlohn von 7,50 Euro) gefährden seit Jahren den Berufsstand freiberuflicher Hebammen. Mehr als 20 Prozent haben die Geburtshilfe bereits aufgeben müssen.

Zum 1. Juli ist ein Teil der Versicherer aus der Haftplicht ausgestiegen, Bundeskanzlerin Angela Merkel hat für Ersatz gesorgt - für ein Jahr. Nach derzeitigem Stand wird es aber ab dem 1. Juli 2016 kein Versicherungskonsortium mehr geben, obwohl freiberufliche Hebammen verpflichtet sind, sich zu versichern. Ein Sicherstellungszuschlag zur Geburtspauschale konnte bisher nicht helfen, weil Krankenkassen und Hebammenverbänden sich bislang nicht auf die Modalitäten einigen konnten.

Info

Weitere Infos unter www.hebammenfuerdeutschland.de.

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