Übung in Neuwied Hunderte Helfer trainieren Rettung aus Zugtunnel

Neuwied  · Als gegen ein Uhr nachts die ersten Einsatzkräfte der Feuerwehr am Fernthal-Tunnel eintreffen, ist die 1555 Meter lange Röhre bereits in dichten Rauch gehüllt. Hilferufe dringen durch die grauen Schwaden. Woher sie kommen, können die Einsatzkräfte nur grob ausmachen.

 Die Rettungskräfte haben die Bergung von Schwerveletzten aus einem ICE trainiert.

Die Rettungskräfte haben die Bergung von Schwerveletzten aus einem ICE trainiert.

Foto: Jens Kleinert

Unter Atemschutz arbeiten sie sich ins Innere vor. Immer wieder treffen sie auf orientierungslose Menschen. "Mein Koffer ist noch da drin, den will ich aber mitnehmen", murmelt eine Frau, während eine andere die Retter auf den Speisewagen hinweist. "Da sind noch Leute drin. Ich glaube, die sind verletzt", sagt sie, bevor auch sie in Richtung des Mittelportals weitergeht.

Tatsächlich haben es etwa 30 Menschen noch nicht ins Freie geschafft. Denn Flammen, die sich in Windeseile im Speisewagen ausgebreitet haben, seitdem der ICE 3 wenige Minuten zuvor auf seiner Fahrt von Montabaur nach Siegburg im Tunnel entgleist ist, versperren ihnen den Weg.

Zum Glück ist alles nur eine Übung. Alle drei Jahre müssen die Einsatzkräfte aus den benachbarten Landkreisen laut Matthias Lemgen vom Presseteam der technischen Einsatzleitung (Neuwied) diesen Ernstfall proben: "Die besondere Herausforderung ist dabei sicherlich die Größe, aber auch das Zusammenspiel sämtlicher Kräfte", so Lemgen. Dieses Mal sind an die 700 Personen, Einsatzkräfte und "Passagiere", beteiligt. "Natürlich gibt es einen Alarmplan. Aber ob der funktioniert, müssen wir an solchen Tagen prüfen.

Fernthalübung in Neustadt - Rettungseinsatz im Tunnel
90 Bilder

Fernthalübung in Neustadt - Rettungseinsatz im Tunnel

90 Bilder

Monatelange Vorbereitungen

Ein Einsatz im Tunnel ist natürlich die Herausforderung schlechthin." Viele Monate haben die Vorbereitungen gedauert. Alleine einen Termin zu finden, sei wegen des kontinuierlichen Zugverkehrs schon nicht leicht. Absprachen mit der Bahn sowie der Bundespolizei seien erforderlich.

Im Speisewaggon rufen derweil Priska Dreher und Anja Lottes um Hilfe. Während Lottes sich durch den Aufprall des Zuges nach der Entgleisung eine Rippe gebrochen hat und sich mit schmerzverzerrtem Gesicht den Brustkorb hält, kann Dreher nicht mehr aufhören zu husten. "Wir brauchen endlich den Rettungsdienst", ruft sie. Gleichzeitig muss sie lächeln.

Für sie und ihre Kollegin Lottes - beide arbeiten für die Neuwieder Kreisverwaltung - ist die Übung ein Erlebnis: "Wir haben sogar unsere Familien aktiviert", sagt sie. Auch ihr Sohn Fabian und seine Freundin Celine Oettershagen befinden sich unter den rund 260 Laiendarstellern, die es den Rettungshelfern laut Lemgen nicht zu einfach machen sollen.

Verletzten um Verletzten befreien die Einsatzkräfte aus dem Zug. Einige von ihnen müssen mit Rettungsbrettern zum Mittelportal des Tunnels gebracht werden. Hinter der Eingangsschleuse des Mittelportals warten bereits Rettungskräfte darauf, sie zu versorgen. Auch Fabian Lottes und Celine Oettershagen haben es schon hierher geschafft. Während sich beide beim Rettungsdienst melden, führt einige Meter weiter eine Sanitäterin eine Atemspende durch.

Oben haben Feuerwehr, Rettungsdienste sowie Mitarbeiter der Deutschen Bahn bereits Zelte aufgestellt und ihre Einsatzfahrzeuge in Stellung gebracht. Während ein Bundespolizist und eine Mitarbeiterin des Roten Kreuzes die Menschen, die sich durch das Mittelportal selbst in Sicherheit bringen konnten, nach möglichen Verletzungen sowie ihren Personalien befragen, kümmern sich Joachim Metternich und seine Kollegen vom Notdienst Produktion der Deutschen Bahn um den Lokführer.

Übung als willkommene Abwechslung

Ihm ist nichts passiert. Und weil auch die Trennung der Stromzufuhr reibungslos geklappt hat, wirken die vier Bahner recht entspannt. "Ich bin gespannt, wie am Ende das Fazit lauten wird", sagt Metternich. Die Übung ist für ihn eine willkommene Abwechslung: "Sonst sind wir ja die meiste Zeit nur über Handy in Bereitschaft."

In Rahms hat derweil, fernab des Trubels, die technische Einsatzleitung ihr Quartier im Feuerwehrhaus bezogen. Gemeinsam mit Führungskräften der Polizei sowie der beteiligten Rettungs- und Sanitätsgruppen sitzt der Stab um Übungsleiter Holger Kurz und Kreisfeuerwehrinspekteur Werner Böcking im Versammlungsraum. Über Funk und Telefon verschaffen sie sich immer wieder einen Überblick.

Eine Grafik, die ein Beamer an eine Leinwand wirft, gibt Aufschluss über die Personalstärke sowie die Entwicklung vor Ort. Zwei Uhr ist es mittlerweile. Nachdem sie sich beraten haben, löst Kurz die Versammlung erneut auf: "In einer Stunde treffen wir uns dann wieder hier, zur nächsten Lagebesprechung", gibt er bekannt.

Ein erstes Fazit, das er dann nach dem Übungsende um fünf Uhr morgens zieht, fällt positiv aus: Die gesetzten Übungsziele haben die rund 450 Einsatzkräfte erreicht. Wo möglicherweise noch Raum für Verbesserungen besteht, wird jedoch erst in drei bis vier Wochen abschließend beurteilt werden können: Dann sollen die Berichte der 20 Beobachter vorliegen, die die Arbeit der Einsatzkräfte näher in Augenschein genommen haben.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort