Kölner Philharmonie Virtuoser Kampf um die Lufthoheit

KÖLN · Tanzt der nicht ein wenig tapsig, dieser Zwei-Meter-Hühne im Hintergrund?", raune ich meiner Begleiterin zu. "Aber dieser Körper...", seufzst sie.Ich habe verstanden, wende mich von den durchtrainierten Oberkörpern der Tänzer ab- und den filigraneren Körpern der wunderschönen Tänzerinnen zu. Wie machen sie das nur, auf ihren hohen Absätzen so standfest zu sein, während sie sich von ihren Partnern durch die Luft wirbeln lassen.

 Schwindelerregende Akrobatik: Szene aus der Show "Brasil Brasileiro".

Schwindelerregende Akrobatik: Szene aus der Show "Brasil Brasileiro".

Foto: Hyou Vielz

Überhaupt scheinen sie an diesem Abend in der von der "Kölnischen Rundschau" präsentierten "Brasil Brasileiro"-Show einen Wettstreit um die Lufthoheit in der Philharmonie auszutragen. Damit es keine Bruchlandung gibt, hat Regisseur Claudio Segovia vier Jahre lang die Musikclubs und Tanzlokale Brasiliens durchstreift, um die drei Dutzend Tänzer, Sänger und Musiker für seine Show zu finden, die uns mit ihrem überbordenden "Spaß an der Freud'" geradezu anstecken.

Aber erst einmal ist Besinnliches angesagt: um einen kreisrunden Lichtkegel kauern weiß gekleidete Tänzer und Tänzerinnen. Sie weichen zurück, ihre Runde öffnet sich zum Halbkreis, eine Trommel setzt ein, eine Sängerin stimmt eine Melodie an, die Tänzer wiegen sich in Samba-Rhythmen.

Wir sind an den Ursprüngen des rituellen Volkstanzes afrikanischer Herkunft angekommen, der mittlerweile den Lebensrhythmus einer ganzen Nation prägt. Genauso authentisch stellen sich die zehn Musiker der Band vor, die nacheinander auftreten: mit der Agogo über die Posaune bis zum Tamburin. Dann kommt Leben in die Bude. Der Mund bleibt vor Staunen offen stehen, wenn Baianinho Capoeira, Jean Lopes und Tiago Moreno ihre akrobatischen Capoeira-Künste zeigen, die jedem Zirkus zur Ehre reichen würden.

Atemberaubend, mit welcher Körperbeherrschung sie diese Synthese aus Kampfsport und Musik beherrschen, Saltos mit Schraube schlagen. Die voluminöse Rose Barcellos hat mit "Pelo Telefone" ihren ersten Auftritt, ganz im Stil einer charismatischen Sängerin à la Mahalia Jackson. Und Fred Astaire ist nicht weit, wenn Renato Sorriso mit seinem überlebensgroßen Schatten tanzt.

Mit Jimmy de Oliveira und Sheila Aquino kommt Farbe ins Bild. Komödiantisch-ironische Einzelpaar- oder Gruppentänze brechen die Macho-Attitüden des brasilianischen Mannes.

Mit einer Karnevals-Polonaise im Stil einer Fitnessstudio-Truppe geht es in die Pause, danach herrscht mit Rose Barcellos "Tristezza" melancholische Samba-Jazz-Stimmung. Wie ein Gruß von einer Karnevals-Hochburg zur anderen kommt eine Stippefott-Einlage auf brasilianisch daher, die wie alle Tänze des ausgelassenen Ensembles auch immer augenzwinkernd mit der Samba-Erotik spielt. Und ehe ein einsamer Trommler zu einer der beliebten Mitklatsch-Orgien bewegt, fasziniert noch einmal unser Body-Buildung-Hüne mit einem Samba-Rap. Und den würde meine Begleiterin, wie gewiss mancher im begeisterten Publikum, gern noch einmal sehen.

Spieldauer 2 ¾ Std. (eine Pause). Bis 10. August, Mo-Sa 20 Uhr, Sa auch 15 Uhr, So 14 u. 19 Uhr. Infos: www.koelnersommerfestival.de.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Ein Porträt Venedigs am Piano
Iiro Rantala und Fiona Grond beim Jazzfest Ein Porträt Venedigs am Piano
Zum Thema
Aus dem Ressort