"Dürers Mysterien" Bilderrätsel für die gebildeten Stände

KÖLN · Das Wallraf-Richartz-Museum zeigt im Graphischen Kabinett "Dürers Mysterien"

 Hexen oder Grazien könnten "Vier nackte Frauen" auf Albrecht Dürers frühem Kupferstich sein. Schon die vom Betrachter abgewandte Zentralfigur schützt das Geheimnis dieser Szene.

Hexen oder Grazien könnten "Vier nackte Frauen" auf Albrecht Dürers frühem Kupferstich sein. Schon die vom Betrachter abgewandte Zentralfigur schützt das Geheimnis dieser Szene.

Foto: Museum

Ein Totenschädel liegt auf dem Boden, und in der offenen Tür taucht eine Teufelsfratze aus dem Höllenfeuer auf. Vollziehen die vier nackten Frauen mit ihren verborgenen Händen somit einen okkulten Hexenritus? Oder sind es drei Grazien mit Venus, so dass Abrecht Dürers Kupferstich von 1497 eine Allegorie auf weibliche Verführungskunst wäre?

Genau weiß man dies nicht, doch gerade das macht den Reiz der kleinen, feinen Wallraf-Kabinettschau "Dürers Mysterien - Rätsel in seinem Graphischen Werk" aus. Thomas Ketelsen hat diesmal Ulrich Rehm, Kunstgeschichtler der Ruhr-Universität Bochum, als Gastkurator gewonnen. Und der führte die in einem Hauptseminar geborene Idee mit seinen Studierenden faszinierend aus.

Acht Meisterblättern Dürers - Holzschnitte, Kupferstiche, Eisenradierungen - sind 13 italienische Vorbilder (etwa nach Mantegna-Originalen) oder spätere Variationen gegenübergestellt. Wobei im Werk des Nürnbergers oft eine Atmosphäre von existenzieller Bedrohlichkeit und Verhängnis herrscht. Auch in "Melancolia I", einem düsteren "Denkbild", das womöglich auf Ovid sowie den Ariadne-Mythos anspielt und sich der Dechiffrierbarkeit hartnäckig entzieht.

So wandten sich Blätter dieser Art wohl an gebildete Sammler, die an anspielungsreich verschlüsselten Motiven ihre Antikenkenntnisse erproben und ihre Vorstellungskraft stimulieren konnten. Ein gefundenes Fressen für gelehrte Deutungsversuche ist etwa der Kupferstich "Herkules am Scheideweg", dessen dramatische Kampfszene Fragen aufwirft. Verstärkt Herkules hier mit seinem Stock die Attacke der bekleideten Tugend gegen das nackte Laster, oder blockiert er vielleicht gar den Hieb? Dann könnte die Szene womöglich eine Parodie auf den Helden sein, der sich zwischen Gut und Böse nicht entscheiden mag.

Wie dem auch sei, das Werk will offenbar auch als ästhetische Delikatesse, als Kunst ohne Gebrauchswert genossen werden: die geballte Dramatik vor knorrigem Geäst, die dynamische Dichte der Komposition suchen ihresgleichen. Offenbar sahen Künstler wie Publikum diese Grafiken als gleichwertige Gegengewichte zu den Mythen der antiken Autoren.

Nur dass Dürers nackte "Nemesis" trotz Raubvogelschwingen und Schwert seltsam nachlässig wirkt, zudem schwankend zwischen Verführung und Selbstzügelung. Wie sich dann zu ihren Füßen das fein schraffierte Weltgewimmel (gespiegelt von Klausen im Eisacktal) zusammendrängt, muss man einfach gesehen haben. Und zwar möglichst aus nächster Nähe, weil einem sonst viele der ziselierten Details entgehen.

Nur in einem der hier schlüssig gehängten Blätter macht es das Genie dem Betrachter leichter: Seine üppige, nackt auf der Kugel balancierende "Fortuna" drückt zweifellos die Wankelmütigkeit des (Liebes-)Glücks aus. Allerdings mindestens ebenso stark eine selbstbewusste weibliche Sinnlichkeit.

So holt auch diese Ausstellung der einfallsreichen Reihe "Der (un)gewisse Blick" die Grafik faszinierend aus ihrem Dämmerschlaf.

Die Ausstellung ist bis zum 22. März 2015., Di-So 10-18, jeden Do bis 21 Uhr geöffnet. Katalogheft: acht Euro. www.wallraf.museum.de

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