Job soll heute Sinn stiften - und beutet doch aus

Berlin · Frust, Pflichtbewusstsein, Begeisterung? Mit welchen Gefühlen gehen wir zur Arbeit? Eine junge Berliner Historikerin hat nachgeforscht - und dafür jetzt den Studienpreis erhalten. Im Interview verrät sie, ob Arbeitnehmer früher zufriedener waren.

Laut der Historikerin Sabine Donauer hat sich zwischen 1991 und 2012 die Produktivität eines Arbeitnehmers pro Arbeitsstunde verdoppelt. Foto: David Ausserhofer/Körber Stiftung/dpa

Laut der Historikerin Sabine Donauer hat sich zwischen 1991 und 2012 die Produktivität eines Arbeitnehmers pro Arbeitsstunde verdoppelt. Foto: David Ausserhofer/Körber Stiftung/dpa

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Kaum ein Jobangebot, das dem Bewerber nicht auch Erfüllung, Spaß oder persönliches Wachstum in Aussicht stellt. Daneben häufen sich Berichte über Burn-out und Erschöpfung bei Arbeitnehmern. An der Freien Universität Berlin hat die Historikerin Sabine Donauer über die Gefühle geforscht, die Menschen seit Beginn des 20. Jahrhunderts ihrer Arbeit entgegenbringen. Für die Doktorarbeit erhielt sie den Deutschen Studienpreis 2014:

Heute arbeiten viele Menschen im Büro - vor 100 Jahren wurde körperlich hart malocht. Gingen die Menschen damals mit anderen Gefühlen zur Arbeit?

Donauer: Vor 100 Jahren hat man Arbeit erstmal als Quelle von Mühsal und negativen Gefühlen betrachtet. Viele Arbeiter waren unzufrieden und den Unternehmern feindlich gesonnen. Weil die aber merkten, dass mit zufriedenen Arbeitnehmern auch mehr zu erwirtschaften ist, haben sie versucht, die Arbeit etwas angenehmer zu gestalten: bessere Beleuchtung und Hygiene in den Fabriken. Durch mehr Pausen, Schlaf und ausreichende Ernährung sollten die Arbeiter gesund und leistungsfähig bleiben. Körperliche Ausgeglichenheit wurde als Schlüssel zur Zufriedenheit der Arbeitnehmer verstanden.

Und das hat funktioniert?

Donauer: Teilweise, aber nach dem Ersten Weltkrieg nicht mehr. In der Weimarer Republik, der Zeit von Arbeiterkämpfen und Arbeitslosigkeit, haben die Unternehmer dann versucht, ihre Arbeiter auch seelisch zu binden. Die Idee der Werksfamilie entstand: Es gab Werkszeitschriften, Wohnungen, sogar Kaufhäuser und Sportanlagen auf den Betriebsgeländen. Eine Zeitlang haben auch die Nationalsozialisten versucht, diese Idee fortzusetzen. Man denke nur an "Kraft durch Freude". Aber als in den 40er Jahren die Arbeitsmoral im Krieg massiv sank, kam eine neue, psychologisch motivierte Methode auf: Vorarbeiter und Meister hatten zuvor meist nur Befehle erteilt, jetzt wurden sie auf Kommunikationsschulungen geschickt. Emotionaler, empathischer, konfliktfreier sollte alles ablaufen. Das war eine Art Frühphase des Führungscoachings. Darauf wurde bis in die 60er Jahre gesetzt.

Dann haben sich die Arbeitsgefühle nochmals verändert?

Donauer: Ja, dann schwappte der Human-Resources-Ansatz aus den USA nach Deutschland: Nach dieser Theorie ist Arbeit nicht mehr in erster Linie zum Geldverdienen da, sondern zur Selbstverwirklichung. Ab den 1970ern setzte man also alles daran, den Arbeitsinhalt anspruchsvoller zu gestalten, mit mehr Verantwortung aufzuladen, die Arbeitnehmer durch Abwechslung zu motivieren - und letztlich damit eine Leistungssteigerung zu erreichen.

Welche Auswirkungen hat das?

Donauer: Vor 100 Jahren hätte jeder gesagt "Ich gehe zur Arbeit, um meine Familie zu ernähren und möchte darüber hinaus meine Arbeitskraft nicht verbrauchen". Das kann man zwar heute auch noch sagen - aber in einem Jobinterview hat man damit schlechte Karten. Stattdessen muss man glaubhaft darstellen, dass der Job eine Berufung für einen ist.

Wann waren die Menschen denn zufriedener?

Donauer: Das hängt davon ab, wie man Zufriedenheit definiert. Vor 100 Jahren war es die Abwesenheit von Erschöpfung, heute geht es um Job-Satisfaction, die durch immer neue Stimuli ausgelöst werden muss. Seit den 70er Jahren heißt es: Wer sich im Job nicht entfalten kann, wird unzufrieden - und zwar auch im Privatleben, was zuvor streng vom Arbeitsleben getrennt wurde. Hinzu kommt die Tendenz zur Individualisierung: Wer heute mit seiner Arbeit unzufrieden ist, versucht die Probleme in der Regel individuell zu lösen, nicht mehr im Kollektiv. Wut über Arbeitsbedingungen wird heute als Ergebnis persönlicher Inkompetenz oder falscher Berufswahl gedeutet, nicht mehr als Klassenkonflikt. Umgekehrt gilt ein gut bezahlter Job als Ergebnis geschickter Verhandlungsführung. Jeder managt praktisch sein eigenes Berufsglücksprofil.

Welche Rolle spielt körperliche Anstrengung dabei heute?

Donauer: Burn-out ist medial ja allgegenwärtig. Er wird aber vor allem als emotionale Erschöpfung beschrieben. Der Körper und seine Leistungsgrenzen sind paradoxerweise offiziell kein großes Thema. Denn Leistungsfähigkeit wird heute vor allem als eine Frage der Motivation verhandelt. Und dieses Verständnis von Motivation hat die Leistung immens gesteigert: Zwischen 1991 und 2012 hat sich die Produktivität eines Arbeitnehmers pro Arbeitsstunde verdoppelt. Die Reallöhne hingegen stagnieren seit den 70er Jahren. Ausnahme sind da nur Topmanager.

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