GA-Interview mit NRW-Minister Pinkwart: Die Post ist ein gutes Beispiel dafür, was möglich ist

Bonn · Andreas Pinkwart ist Landesminister für Wirtschaft, Energie, Digitales und Innovation. Mit ihm sprachen Sylvia Binner, Bernd Eyermann, Florian Ludwig, Helge Matthiesen und Marcel Wolber über die Ziele seiner Wirtschaftspolitik, Strukturwandel, Standortfragen und Digitalisierungsängste.

NRW liegt oft wirtschaftlich unter dem Bundesschnitt. Wann können Sie sagen: Unsere Wirtschaftspolitik ist erfolgreich?

Andreas Pinkwart: Wenn die Unternehmen in Nordrhein-Westfalen mehr forschen und entwickeln, wir die Chancen der Digitalisierung ergreifen und uns durch Innovationen zum modernsten Industriestandort in Europa weiterentwickeln.

Gilt noch das Ziel, Bayern an der Spitze der wirtschaftlichen Entwicklung abzulösen?

Pinkwart: Wir müssen zum Bundeswachstum mindestens aufschließen. In den vergangenen sieben Jahren ist Nordrhein-Westfalen jährlich 0,5 Prozentpunkte langsamer gewachsen als der Durchschnitt der Länder. Hätten wir mit dem Bund mitgehalten, gebe es 160 000 Arbeitslose weniger im Land als heute. Wenn unsere Wirtschaft sich so entwickelt hätte wie in Bayern oder Baden-Württemberg, wären es sogar 350 000 bis 400 000 Arbeitslose weniger.

Ein Vorwurf an SPD und Grüne?

Pinkwart: Wir hatten in den vergangenen Jahren einen sehr starken Konflikt zwischen Wirtschaft und Umwelt innerhalb der Landesregierung. Mein Vorgänger hat sich sehr bemüht, konnte sich aber vielfach im Kabinett nicht durchsetzen.

Das sind ja schon fast Sätze wie im Wahlkampf.

Pinkwart: Ich brauche keinen Wahlkampf mehr, ich will hier etwas bewegen.

Sie haben sich vorgenommen, in Anlehnung an das Silicon Valley in Kalifornien ein Rheinland Valley zu etablieren. Wie wollen Sie das machen?

Pinkwart: Ich will das nicht machen. Ich hoffe, die Menschen machen das und erkennen die Chancen, die entstehen, wenn eine ganze Region gemeinsam ihre Kräfte bündelt.

Aber Sie haben die Menschen dazu animiert.

Pinkwart: Und ich habe viel positive Resonanz darauf erhalten.

In Ostwestfalen nicht.

Pinkwart: Doch. Die haben gesagt, dann müssen wir auch mehr Gas geben. Ähnliches habe ich in der Metropole Ruhr beobachtet. So soll es sein, das Ganze hat auch einen sportlichen Aspekt.

Worum geht es?

Pinkwart: Das Rheinland hat die stärkste Wissenschafts- und Forschungsregion in Deutschland, eine der stärksten in Europa. In den vergangenen Jahren ist mir aufgefallen, dass die Politik dies eher verschwiegen hat. Der Westen muss aber wieder ins Rampenlicht gestellt werden. Was wir hier können, ist Weltspitze.

Woran machen Sie das fest?

Pinkwart: Die dritte Runde der Exzellenzinitiative hat gezeigt, dass die Universität Bonn mehr Antragsskizzen durchgebracht hat als die beiden Münchner Top-Universitäten zusammen. Was für ein Erfolg.

Ein Lob an Ihre alte Alma Mater.

Pinkwart: Ja, sie hat sich unter dem neuen Rektor hervorragend weiterentwickelt. Das ist auch wichtig, um die klugen Köpfe zu halten und neue hinzuzugewinnen. Wenn wir es dann noch schaffen, diese PS auf die Straße zu bringen, also durch Gründungen und Innovationen in den bestehenden Unternehmen, dann entsteht im Westen ein Wachstumszentrum, das europaweit sichtbar sein wird.

Und wie soll das gehen?

Pinkwart: Es gab hier viel Kirchturmdenken. Die Metropolregion Rheinland steckt zwar noch in ihren Anfängen, sie ist trotzdem ein Schritt nach vorn und zeigt eine Bereitschaft, über den Tellerrand der eigenen Kommune hinauszuschauen. Außerdem ist die Initiative meines Vorgängers, der digitale Ideenschmieden ins Leben gerufen hat – davon allein vier im Rheinland – eine gute Basis, um innovative Geschäftsmodelle zu entwickeln. Die Zukunft ist da, wo die Köpfe sind.

Trotzdem: Die besten Köpfe ziehen oft in das hippe Berlin, weil sie dort bessere Zukunftsaussichten sehen. Wie wollen Sie die denn hier hinholen?

Pinkwart: In Berlin ging es los, Nordrhein-Westfalen ist leider erst ein paar Jahre später gestartet, aber wir holen auf. Viele junge Talente an den Hochschulen sind bisher nach dem Studium weggegangen, jetzt haben wir die Chance, sie zu halten. Wir haben insgesamt neun der 30 Börsenschwergewichte hier und auch die Bayer-Ausgründung Covestro könnte es noch in den Dax schaffen...

Hier in Bonn gibt es die Post und die Telekom.

Pinkwart: Genau. Die Deutsche Post/DHL ist ein gutes Beispiel dafür, was alles möglich ist. Weil die Automobilindustrie dem Unternehmen keine Lösung für eine umweltfreundliche Paketauslieferung angeboten hat, nahm die Post das Heft in die Hand, erfand mit Ingenieuren der RWTH Aachen den Streetscooter und baut ihn jetzt selbst. Nun geht es weiter: Professoren investieren mit privaten Firmen in ein neues Vehikel und entwickeln weitere Fahrzeuge, zum Beispiel den Kleinwagen e.GO und den Elektrobus e.GO Mover. Das ist das unternehmerische Denken, das wir brauchen. Automobilbau wird in Nordrhein-Westfalen neu erfunden, nicht in Baden-Württemberg.

Wenn das alles so gut funktioniert, warum brauchen wir denn einen Innovationsminister?

Pinkwart: Mein Job ist zum Beispiel, für die nötigen Elektroladestationen zu sorgen. Rund 2000 öffentliche Ladesäulen gibt es derzeit in Nordrhein-Westfalen, aber das reicht nicht für 18 Millionen Menschen. Wir haben ein Förderprogramm angepasst und unterstützen jetzt Privatpersonen und Gewerbetreibende, die Wallboxes oder Ladepunkte einrichten, mit bis zu 5000 Euro. Erfindungen sind gut, Innovation aber ist der Schritt vom Prototypen zur Massenproduktion – und da kann die öffentliche Hand eine ganze Menge tun: Flächen bereitstellen, den Ausbau der digitalen Infrastruktur voranbringen, unkomplizierte Regeln setzen und Genehmigungen beschleunigen, Forschung und Transfer fördern und öffentliche Beschaffung für innovative Produkte öffnen.

Muss der Innovationsminister nicht auch das baldige Ende des Verbrennungsmotors fordern?

Pinkwart: Die Politik sollte nicht Technologien vorgeben, sondern Grenzwerte. Der Diesel kann für uns noch wichtig werden, wenn die Abgaswerte stimmen. Welche neuen Formen des Antriebs sich letztlich durchsetzen, muss der Markt entscheiden. Aufgabe der Politik ist es, einen fairen Wettbewerb um die beste Lösung zu ermöglichen.

Was raten Sie Bonn? Welche Ziele sollte sich die Stadt setzen?

Pinkwart: Wenn wir heute über die Mobilität der Zukunft reden, dann nicht mehr über Benzin-, Diesel- oder Elektroauto, sondern über das autonome Fahren. Der Aachener Elektrobus könnte übrigens schon heute autonom fahren, wenn es erlaubt wäre. Für Bonn und die Region könnten autonome Busse attraktiv sein, die mit einer App gesteuert werden. Die Kosten für den öffentlichen Nahverkehr blieben überschaubar.

Wie soll das gehen?

Pinkwart: Ein Bus startet beispielsweise in Alfter und sammelt die Fahrgäste ein, der zweite kommt in Duisdorf dazu, wird hinten angehängt und dann fahren beide zum Bonner Hauptbahnhof. Was meinen Sie, wie sich der Verkehr verändern würde? Es werden weniger Autos für den Individualverkehr benötigt, man braucht weniger Parkhäuser. Die Mobilität wird sich in den nächsten fünf bis zehn Jahren enorm wandeln, damit geht eine Entspannung in den Innenstädten einher.

In der Gegenwart müssen aber erst einmal marode Brücken und Straßen hergestellt werden.

Pinkwart: Das ist längst überfällig und das tun wir auch.

Mit chinesischem statt Duisburger Stahl.

Pinkwart: Wenn die Qualität stimmt und der Wettbewerb fair ist, warum nicht? Es ist so viel Stahl von Thyssenkrupp in China in deutsche Autos verbaut worden, das sehen wir als Nordrhein-Westfalen doch ganz gelassen.

Sie sind auch Klimaschutzminister. Warum steigt NRW nicht schneller als 2040 aus der Braunkohle aus?

Pinkwart: Selbst die Schweden steigen doch nicht gleichzeitig aus der Kohleverstromung und der Kernenergie aus. Es gibt kein Industrieland der Welt, das nur auf Erneuerbare setzt.

Aber es wäre doch mal eine Innovation, zu sagen, wir machen den Anfang.

Pinkwart: Das geht aber noch nicht, wenn wir die Stromversorgung für alle Bürger und Betriebe jederzeit sicherstellen wollen. Es fehlen stabile Netze im Norden, es fehlen Speicher, und zudem wollen wir auch noch Strom nach Belgien liefern, damit die dort endlich ihre unsicheren Kernkraftblöcke abschalten. Außerdem geht es um 30 000 Arbeitnehmer, die unmittelbar betroffen wären. Wer Kraftwerke schließt, kann auch gleich den Tagebau zumachen.

Wie lange müsste denn ein verantwortungsvoller Vorlauf dauern?

Pinkwart: Wir schließen in diesem Jahr die letzten beiden Steinkohlezechen. Die Entscheidung, raus aus der Steinkohle, haben wir 2007 getroffen. Das heißt: Wir haben den Menschen und den Regionen faire Anpassungschancen gegeben. Nehmen Sie auch das Beispiel Bonn: Was wäre passiert, wenn der Bundestag und die ganze Regierung zwei Jahre nach der Umzugsentscheidung nach Berlin gezogen wären? Das wäre ein Desaster geworden. Stattdessen begann der Umzug erst acht Jahre später und parallel wurde der Ausgleich des Bundes wirksam. Unter dem Strich hat die Region nur gewonnen.

Was heißt das für die Braunkohle?

Pinkwart: Den Strukturwandel klug zu entwickeln. Auch wenn man dynamisch sein will, braucht man Planungssicherheit. Wir wollen, wie Rot-Grün dies mit der Leitentscheidung 2016 vorgesehen hat, langfristig aus der Braunkohle raus, aber mit Sinn und Verstand.

Das Zwei-Grad-Ziel wird damit aber nicht einzuhalten sein.

Pinkwart: Wir müssen den Klimaschutz so organisieren, dass wir die Menschen mitnehmen. Die Frage muss doch sein: Geht es nur um Verzicht oder kann es über Innovation bessere Lösungen zum Schutz des Klimas geben?

Wie meinen Sie das?

Pinkwart: Ein Beispiel: Für Fotovoltaik-Anlagen gibt es in Nordrhein-Westfalen höhere Hürden als in anderen Ländern. So brauchen Besitzer denkmalgeschützter Häuser zum Teil umfangreiche Genehmigungen, um auf diesen Dächern Anlagen zu bauen. Ähnlich wie Hessen werden wir deshalb in diesem Jahr den Denkmalschutz einschränken, um die Voraussetzung zu schaffen für kluge erneuerbare Innovationen.

In vielen Teilen des Ruhrgebietes geht es wirtschaftlich immer noch nicht so richtig voran. Warum ist das so?

Pinkwart: Die Metropole Ruhr hat viele Gesichter. Gut läuft es zum Beispiel in Dortmund, Bottrop – und auch in Bochum trotz der Schließung des Opel-Werks. Auf dem Gelände könnte es bald wieder ähnlich viele Arbeitsplätze geben wie zu Zeiten der Autoproduktion. Manchmal liegt der Erfolg eines Standorts auch schlicht darin begründet, dass die führenden Frauen und Männer der Stadt, der Wirtschaft und der Hochschulen intensiv kooperieren.

Wo muss Nordrhein-Westfalen bei der Digitalisierung noch mehr tun?

Pinkwart: Beim Breitbandausbau mit Downloadgeschwindigkeiten bis 50 MBit/Sekunde haben wir mit 83,5 Prozent der Haushalte schon eine ganz ordentliche Ausstattung. Das reicht aber nicht. Die Strategie heißt deshalb: Glasfaser first flächendeckend bis 2025. Derzeit sind erst sieben Prozent der Haushalte ans Glasfasernetz angeschlossen, 13 Prozent der Schulen und fünf Prozent der Gewerbegebiete.

Digitalisierung heißt nicht nur Netzausbau.

Pinkwart: Richtig, auch hier müssen die Menschen mitgenommen werden. Wir dürfen ihnen keine Angst machen, sondern wollen die Chancen der Digitalisierung aufzeigen, Begeisterung wecken und gleichzeitig die Risiken nicht vergessen, etwa wenn es um die IT-Sicherheit geht.

Brauchen wir dafür ein neues Unterrichtsfach?

Pinkwart: Mehr Informatik und Coding wären sehr hilfreich. Aber Digitalisierung ist als Querschnittsthema umfassender zu betrachten. Wir müssen die digitalen Kulturwerkzeuge in allen Fächern zur Verfügung stellen und besser erklären, damit wir lernen, verantwortungsvoll mit ihnen umzugehen.

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