VW-Abgasaffäre Milliarden-Vergleich in den USA fast am Ziel

Washington/San Francisco · 15 Monate nach Bekanntwerden des Betruges mit Diesel-Abgasen zeichnet sich für Volkswagen in Amerika ein erster substanzieller Erfolg bei der Beilegung des Skandals ab.

Nach dreistündiger Anhörung hat der für eine Sammelklage zuständige Richter Charles Breyer am Dienstag in San Francisco einem milliardenschweren Vergleich zwischen VW, der US-Regierung, Umweltbehörden und der Mehrheit von rund 480 000 Besitzern von Diesel-Autos mit Zwei-Liter-Motoren seine grundsätzliche Zustimmung signalisiert.

Endgültig entscheiden will er am 25. Oktober. Einsprüche von VW-Kunden, die den Wolfsburger Konzern viel stärker zur Kassen bitten wollten, wurden wenig Chancen auf Erfolg eingeräumt. Die Rechnung für VW ist trotzdem üppig: knapp 16 Milliarden Dollar.

Der angestrebte Vergleich sieht vor, dass VW für die Schädigung der Umwelt durch Stickoxide insgesamt fünf Milliarden Dollar in einen Umweltfonds sowie in einen Extra-Topf zur Förderung von Elektro-Autos steckt. Hintergrund: Durch den Einsatz einer verbotenen Software bei der Abgaskontrolle, stoßen VW-Diesel in den USA bis zu 40 Mal mehr Treibhausgase aus als erlaubt.

Der Löwenanteil des Vergleichs - knapp zehn Milliarden Dollar - fließt an die Besitzer der manipulierten Diesel-Pkw. Die Autos werden so repariert, dass sie den strengen Umweltbestimmungen in den USA entsprechen. Oder sie werden von VW je nach Baujahr und Tachostand zum Listenwert im September 2015 zurückgekauft. Pro Auto sind dazu noch „Schmerzensgelder“ bis zu 10 000 Dollar vorgesehen.

Nach Angaben von Elisabeth Cabraser, die als Chef-Anwältin für Tausende Sammelkläger fungiert, und VW-Rechtsvertreter Robert Giuffra haben bisher rund 340 000 VW-Besitzer dem Deal zugestimmt. 48 000 kommen aus Kalifornien. Dort nahm die Aufdeckung des Skandals im Septembert 2015 durch Veröffentlichungen der Umweltbehörde Carb seinen Anfang. Laut Cabraser haben 3200 VW-Eigentümer das Angebot abgelehnt. Die Juristin zeigte sich zuversichtlich, das bis Ende der Teilnahmefrist im September 2018 die „allermeisten“ Zwei-Liter-Auto-Eigentümer der Vereinbarung beitreten werden.

Dagegen bezeichneten rund 25 VW-Eigner und Anwälte in der Verhandlung die aus Sicht von Branchen-Experten „großzügige Vereinbarung“ als unzureichend. Stellvertretend sagte der aus Palo Alto/Kalifornien stammende VW-Fahrer Blair Stewart: „Ich verlange den kompletten Original-Kaufpreis für meinen Wagen zurück und zusätzlich ein hohes Strafgeld wegen des erwiesenen Betruges.“ Mehrere Gegner des Deals verlangten zudem entschieden höhere Strafen für VW. Begründung: Die Umwelt sei massiv geschädigt worden. Dagegen erklärten sich alle beteiligten US-Behörden mit den Details des Entschädigungspakets einverstanden. Breyer sagte zu, die Einwände zu würdigen. Er ließ aber bereits erkennen, dass er den Deal „stark favorisiert“, weil er ihn für „fair, angemessen und vernünftig“ hält.

Hätte der Richter den Einsprüchen gestern stattgegeben, hätte VW erneut in die Verhandlungen einsteigen müssen. Folge: Zeitverlust und mutmaßlich noch höhere Schadenssummen. Allein die an der Sammelklage sitzenden US-Juristen wurden von VW zuletzt mit rund 175 Millionen Dollar bedient.

Gelöst sind damit aber nur die Probleme mit Zwei-Liter-Dieselautos. Für rund 90 000 Oberklasse-Wagen der Marken VW, Audi und Porsche mit Drei-Liter-Antrieb gibt es noch kein Rezept. Richter Breyer will sie ebenfalls so schnell wie möglich von der Straße holen, weil sie „die Umwelt verpesten“. Bis 3. November muss ein Konzept auf den Tisch. Klar ist: Die Rückkauf-Option wird hier für die betroffenen VW-Marken deutlicher teurer.

Losgelöst davon wollen immer Bundesstaaten VW für den Verstoß gegen Luftreinhaltegesetze zur Kasse bitten. Mit Missouri haben sich inzwischen die Gouverneure von 17 Bundesstaaten auf den Klageweg begeben. Hier betritt VW neues Terrain. Je nach Zahl der VW-Eigner (Missouri kommt auf rund 8000) wird nach Angaben von Experten errechnet, wie viele Tonnen Stickoxide durch VW-Dieselautos in die Atmosphäre gelangt sind.

Welche Schadenssummen daraus abgeleitet werden, ist ungewiss. Nach Worten von VW-Chef Matthias Müller soll dazu im November ein gesondertes Vergleichsverfahren beginnnen. US-Autoexperten mutmaßen, dass sich die Landespolitiker vor dem Hintergrund des Präsidentschaftswahlkampfs als „besonders unnachgiebig“ präsentieren. Auch hier muss VW dem Vernehmen nach „mindestens von einer hohen dreistelligen Millionensumme ausgehen“.

Nicht berücksichtigt sind mögliche strafrechtliche Konsequenzen. Das Justizinisterium in Washington ermittelt intensiv gegen VW. Es geht um den Vorwurf der betrügerischen Verschwörung und der Missachtung der Bundesumweltgesetze. James Liang, ein VW-Ingenieur in Kalifornien, hat sich den Behörden als Kronzeuge für den Betrug mit Dieselabgasen zur Verfügung gestellt. Liang hat dem Vernehmen nach eingeräumt, mit welcher Akribie VW die US-Behörden über Jahre getäuscht wurden. Er muss im Januar mit einer Verurteilung rechnen. Ihm drohen bis zu fünf Jahre Haft. Ob Liang VW-Manager bis in die Vorstandsebene um Müller oder dessen Vorgänger Martin Winterkorn als Mitwisser belastet hat, ist nicht bekannt.

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