124 Jahre nach Gründung Berühmter Gitarrenbauer Gibson in wirtschaftlicher Schieflage

Washington/Nashville · Seit 124 Jahren baut die amerikanische Firma Gibson weltberühmte Gitarren. Nun aber kämpft das Unternehmen aus Nashville mit handfesten Bankrottgerüchten.

 Blueslegende B.B. King spielt im Jahr 2009 in der Schweiz auf seiner „Lucille“ von Gibson.

Blueslegende B.B. King spielt im Jahr 2009 in der Schweiz auf seiner „Lucille“ von Gibson.

Foto: AFP

Wäre B.B. King noch am Leben, seine „Lucille“ würde jetzt wahrscheinlich weinen wie ein Schlosshund. Der Großmeister des Blues spielte seine Herzschmerz-Lebensgeschichten jahrelang bevorzugt auf einem Instrument der Marke Gibson. Typ ES-355. So auch Chuck Berry, Bob Dylan, Jimmy Page, The Edge, Slash und Dutzende andere Halbgötter aus Rock & Pop.

124 Jahre nach Gründung steckt das eine von zwei weltweit bewunderten Adelshäusern der Stromgitarrenzunft (Fender ist das andere) in seiner bisher tiefsten Krise. Firmenboss Henry Juszkiewicz, der Gibson 1986 für fünf Millionen Dollar erwarb, muss binnen der nächsten 150 Tage Schulden in Höhe von einer halben Milliarde Dollar refinanzieren. Andernfalls stehen die drei Fabriken in Memphis (Tennessee), Bozeman (Montana) und am Stammsitz in der Country-Hochburg Nashville (ebenfalls Tennessee) vor der Insolvenz, berichten amerikanische Wirtschaftszeitungen.

Juszkiewicz, ein Stehaufmännchen, dementiert, spricht von glänzenden Geschäften und davon, dass die Verbindlichkeiten nach einer Art „Frühlingsputz“ (Verkauf von störenden Konzernteilen und Immobilien) wie immer pünktlich bedient werden.

Von Ratingagenturen herabgestuft

Tatsache aber ist, dass Finanzchef Bill Lawrence gerade seinen Hut nehmen musste. Außerdem haben die Ratingagenturen Moody’s und S & P Gibson auf extrem niedrig herabgestuft, sprich: öffentlich Überschuldungsgefahr signalisiert. Und mit der Jefferies Group LLC ist eine für empfindliche Restrukturierungsschnitte bekannte Investmentbank im Haus, um das Firmenschiff, das einst in Kalamazoo/Michigan mit dem Bau von Mandolinen begann, vor dem Untergang zu retten; trotz eines Jahresumsatzes von rund einer Milliarde Dollar.

Dass es so gekommen ist, dafür machen Insider den „Kapitän“ persönlich verantwortlich. Juszkiewicz gilt als schwierig. Bei einem Betriebsausflug ließ er an einem Schießstand auf eine Stratocaster ballern – das Kultprodukt des Konkurrenten Fender. Juszkiewicz wird von Szenekennern übel genommen, dass er nicht wie ein Schuster bei seinen Leisten blieb.

Erst wurde 2014 für 135 Millionen Dollar die Audiosparte (Kopfhörer, Lautsprecher) vom niederländischen Philips-Konzern dazu gekauft. Später investierte der von ehemaligen Mitarbeitern als „erratisch“ und „selbstherrlich“ beschriebene Eigentümer hartnäckig in selbsttätig stimmende Gitarren, die aber niemand kaufen wollte. Vollends diese Nase gerümpft wurde dann im vergangenen Sommer. Juszkiewicz verkündete, Gibson analog zu einem Sportartikelriesen zum „Nike der Musikwelt“ hochjazzen zu wollen.

„Der Markt ist gesättigt"

Sprich: Musikinstrumente, Lifestyle und Digitales sollten so sexy verquickt werden, dass Produkte wie die seit 1952 gebaute Star-Gitarre „Les Paul“, die V-förmige „Flying V“ oder die von AC/DC-Frontmann Angus Young gern strapazierte „SG“ auch für jüngere Generationen Objekte der Begierde werden. Im Moment sieht es genau danach nicht aus. Bei einem Besuch im Dezember in Memphis, dort besitzt Gibson eine 13 Millionen Dollar teure Immobilie direkt an der berühmten „Beale Street“ und lädt Besucher in die Produktionsstätten ein, verdrehten Angestellte die Augen auf die Frage, wie denn die Geschäfte laufen: „Kennen Sie den Song ‚Why My Guitar Gently Weeps‘?“, lautete die sarkastische Antwort.

Stattdessen spricht laut und deutlich George Gruhn. Der Besitzer des bekanntesten Musik-Fachhandels in Nashville hat „Götter“ wie Eric Clapton, Paul McCartny und Neil Young mit neuen Sechssaitern versorgt. Für Gruhn hat das Problem bei Gibson einen Namen: „Juszkiewicz. Wie er den Laden führt, das ist der reine Wahnsinn“, sagte Gruhn, „Henry gehört zu den unbeliebtesten Zeitgenossen der ganzen Branche.“ Nur sein Abgang, den laut „Nashville Post“ einige Gläubiger nach Kräften anstreben, könne das Unternehmen retten, dessen klangvoller Name „unverändert wertvoll“ sei.

Aber der Markt habe sich radikal geändert. „Bei guter Pflege überdauert eine Gibson oder eine Fender die Ururenkel des früheren Käufers“, sagt der seit 48 Jahren im Geschäft stehende Bartträger. Das grenze die kontinuierlich Nachfrage schon mal ein. Dazu komme, dass heute 20 Mal mehr Gitarren produziert werden als noch in den 90er Jahren. Gruhn: „Der Markt ist gesättigt und darum gestresst.“ Zumal die demografische Kurve, plus qualitativ immer besser werdende Billigkonkurrenz aus China, den amerikanischen Herstellern nicht wirklich gewogen ist.

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