Wie viel Arbeit soll es sein? Acht-Stunden-Tag am Scheideweg

Bonn · Arbeitgebervertreter plädieren für ein neues Gesetz, das die Arbeitszeit flexibilisiert. Die Digitalisierung der Arbeitswelt fordere mehr Beweglichkeit. Ein Sturm der Entrüstung ist ihnen sicher.

Abhängig Beschäftigte dürfen bislang laut Gesetz täglich nicht mehr als acht Stunden arbeiten.

Abhängig Beschäftigte dürfen bislang laut Gesetz täglich nicht mehr als acht Stunden arbeiten.

Foto: dpa

Die Reise nach Jamaika ist lang. Und ob man dort am Ende ankommt, ist noch nicht gewiss. Jedenfalls haben sich pünktlich – genauer: parallel – zu den Sondierungsgesprächen in Berlin die Arbeitgebervertreter zu Wort gemeldet. Sie möchten den möglichen Koalitionären empfehlen, das Arbeitszeitgesetz auf ihrer Reise nach Jamaika sozusagen über Bord zu werfen.

Stattdessen sollen sie ein neues schreiben, ein moderneres: „Der starre Acht-Stunden-Tag für alle im Gleichschritt ist passé“, erklärte denn auch der Präsident der Bundesvereinigung der deutschen Arbeitgeberverbände, Ingo Kramer. Nur sei diese Tatsache bislang noch nicht in das Bewusstsein der verantwortlichen Politiker vorgedrungen. 4.0 laute das Stichwort, das die Welt beherrscht – gemeinhin versteht man darunter die nächste Phase der Digitalisierung in der Arbeitswelt. Die fordere mehr Beweglichkeit, meint Kramer: „Wir brauchen bessere Möglichkeiten, die Arbeitszeit über die Woche hinweg flexibel zu verteilen.“

Gewerkschaften sehen Arbeitsschutz bedroht

So weit, so gut. Nur bleiben solche Einlassungen natürlich nicht unwidersprochen. Denn auf der anderen Seite des Grabens zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern wittert der Deutsche Gewerkschaftsbund einen Angriff auf den Arbeitsschutz. „Unter dem Deckmantel der Flexibilität wollen die Arbeitgeber das Arbeitszeitgesetz und den Arbeitsschutz aufweichen“, lässt sich beispielsweise die Leiterin der Rechtsabteilung beim DGB, Helga Nielebock, zitieren.

Tatsächlich macht das Arbeitszeitgesetz eindeutige Vorgaben: Wer abhängig beschäftigt ist, der darf pro Woche maximal 48 Stunden arbeiten. Und nicht nur das. Das Gesetz sieht auch vor, dass dies an maximal sechs Tagen geschehen darf. Wer in fünf Tagen 48 Stunden schuftet, handelt genau genommen illegal. Denn ein einzelner Arbeitstag darf acht Stunden nicht überschreiten.

Auch die einzulegenden Ruhephasen schreibt der Gesetzgeber vor: Zwischen Ende des einen und dem Beginn des nächsten Arbeitstages müssen elf Stunden liegen. Wer also einen Spätdienst schiebt und am nächsten Morgen wieder früh bei der Arbeit erscheint – der handelt illegal.

Wirtschaftsweise halten dagegen

Nun haben sich auch die sogenannten Wirtschaftsweisen, also die Ökonomen im Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, eingebracht. Deren Vorsitzender Christoph Schmidt sagte ebenfalls: Der Arbeitnehmerschutz in seiner hergebrachten Form sei teilweise „nicht mehr für die digitalisierte Arbeitswelt geeignet“.

Das sehen auch viele andere Beobachter so – und sie haben mindestens einen guten Grund dazu. Denn heutzutage gehört es fast schon zum Arbeitsalltag, auch abends mal schnell noch in den Mailkasten zu schauen – und gegebenenfalls noch eine kurze Mail zu beantworten. Wer bis 18 Uhr gearbeitet hat und dies um 22 Uhr noch tut, bewegt sich an der Grenze zur Illegalität. Zumindest dann, wenn er am nächsten Morgen um 8 Uhr wieder bei der Arbeit erscheint. Denn dann hat er gegen die vorgeschriebene Elf-Stunden-Ruhephase verstoßen.

SPD-Chef Schulz sieht keinen Reformbedarf

Die Linke im Bundestag schließlich führt noch einen anderen Gedanken an. Die Produktivitätszuwächse der vergangenen Jahre führen dazu, dass immer weniger Menschen die gleiche Arbeit schaffen können. Das schließlich führt zu dem Gedanken, die Arbeitszeit grundsätzlich verkürzen zu müssen. Das ist ein gewichtiges Argument. Es spielt in der aktuellen Debatten allerdings höchstens eine Nebenrolle.

SPD-Chef Martin Schulz hat der Forderung nach lockereren Arbeitszeitregeln derweil eine Absage erteilt. „Wer sagt eigentlich, dass das Arbeitszeitgesetz nicht genügend Flexibilität bietet?“, fragte er am Dienstag beim Gewerkschaftstag der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) in Berlin. Das bestehende Gesetz sei hochflexibel und biete genügend Gestaltungsspielraum. „Wir werden daran nicht rütteln lassen“, versicherte Schulz.

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