GA-Interview mit Ex-Telekom-Personalchef Thomas Sattelberger: "Management habe ich bei der APO gelernt"

BONN · Ex-Telekom-Personalchef Thomas Sattelberger spricht im GA-Interview über seinen Weg vom Kommunisten zum Vorstand und warum Hierarchiedenken die deutsche Wirtschaft lähmt.

 Nennt die wirtschaftliche Lage des Unternehmens gut: Vorstandsmitglied Thomas Sattelberger.

Nennt die wirtschaftliche Lage des Unternehmens gut: Vorstandsmitglied Thomas Sattelberger.

Foto: dpa

Mehr Querdenker im deutschen Management fordert Ex-Telekom-Personalvorstand Thomas Sattelberger. Er blickt selber auf einen ungewöhnlichen Werdegang zurück: Vom Kommunisten in der Jugendbewegung der 60er Jahre zum Konzernvorstand. Mit 66 Jahren will er jetzt in der FDP Politik machen.

Sie gelten als einer der profiliertesten Kritiker der deutschen Unternehmenskultur und gehen mit Ihren ehemaligen Kollegen in den Chefetagen hart ins Gericht..
Sattelberger: (unterbricht) Auch mit mir selber!

Sie kritisieren, die meisten Konzernvorstände verhielten sich wie Autisten, Unternehmen arbeiteten wie die „letzten bolschewistischen Bastionen“. Steht es wirklich so schlecht um die deutsche Wirtschaft?
Sattelberger: Schauen Sie sich doch die Branchen an. Für die einst florierenden deutschen Energieunternehmen spielte die Börse schon den Exitus durch. Die Deutsche Bank ist ein Sanierungsfall, andere Kreditinstitute hängen noch am Tropf des Staates. Die Innovationen in der Automobilindustrie finden in den USA und Japan statt. Deutschland steht ein quälender Transformationsprozess bevor.

Wie passt das zur hervorragenden Konjunktur in Deutschland?
Sattelberger: Wir profitieren derzeit sehr von der Euroschwäche und dem niedrigen Ölpreis. Zukunftsfähigkeit bemisst sich aber nicht nach den heutigen Gewinnmargen, sondern nach langfristigen Strategien, und die fehlen oft. Selbst der Mittelstand lahmt bei Innovationen. In den USA ist das anders: Dort werden innovative börsennotierte Unternehmen nicht nur nach ihren Gewinnen, sondern nach ihrem Wachstumspotenzial bewertet. Gründer haben es viel leichter als in Deutschland.

Was genau läuft bei uns schief?
Sattelberger: Hier sind zum Teil blühende Unternehmen heruntergewirtschaftet worden oder haben wichtige Trends verschlafen. Viele Konzerne sind hochgradig nach innen gerichtet, deshalb mein Vorwurf des Autismus. Sie verpassen die Anpassung an ein sich wandelndes Umfeld. Wir waren verdammt gut in den 90er Jahren bei der Effizienzsteigerung, aber bei Innovationen liegen wir im internationalen Vergleich zurück, vom Elektroauto über Bio-Tech bis zum E-Commerce.

Kann das bis zu Skandalen wie dem Abgasbetrug bei Volkswagen führen?
Sattelberger: Wir erleben gerade die Götterdämmerung des Verbrennungsmotors. Und der VW-Skandal zeigt, wie ein altes System reagiert, wenn sein wichtigster Besitzstand attackiert wird. Erst flüchtete sich VW – wie alle Autohersteller – in Grauzonen, um seine veraltete Technologie vermeintlich zu retten. Dann ging VW einen Schritt weiter in die Illegalität. Winterkorn war informiert. An diesem Beispiel wird im Moment am deutlichsten, wie Machtorganisationen Kritik und Warnung abtöten. In autoritär geführten Unternehmen versagen wichtige Frühwarnsysteme, weil wichtige Debatten nicht offen geführt werden, sondern auf den Fluren und in den Kaffeeküchen stattfinden. Informationen über Risiken und Gefahren sind in jeder Organisation vorhanden, doch oft werden sie gefiltert und weggedrückt.

Kein deutscher Konzern wird sich selbst als autoritär geführt bezeichnen. In jedem Geschäftsbericht kommen heute Schlagwörter wie „Diversity“ oder „Social Responsibility“ vor. Ist das alles Makulatur?
Sattelberger: Schlechte Unternehmen machen Programme, gute Unternehmen machen Kultur.

Auf welcher Seite sehen sie die Unternehmen bei uns?
Sattelberger: Beim Thema Diversity, also der Vielseitigkeit der Mitarbeiter, und bei der Debattenkultur sehe ich 90 Prozent Programme und zehn Prozent gelebte Kultur. Es geht ja nicht nur darum, gleiche Chancen für Frauen und Männer, internationale Mitarbeiter, oder Beschäftige unterschiedlicher Altersgruppen zu schaffen. Es geht doch am Ende darum, dass das Unternehmen von einer Vielfalt von Blickwinkeln und Einschätzungen profitiert und neue Ideen fördert – übrigens jenseits von Stechuhren und starren Regeln. Kreativität tickt ja auch anders als viele Gewerkschaften.

Sie gelten als Erfinder der Frauenquote als freiwillige Selbstverpflichtung, haben sie bei der Telekom gegen Widerstände durchgesetzt. Bundesweit hat sich seitdem nicht viel geändert. Frustriert Sie das?
Sattelberger: Paradigmenwechsel braucht Zeit. Vielfalt beeinträchtigt tradierte Seilschaften und bringt ein gewohntes System von Bräuchen, Aufstiegen und internen Honorierungen ins Wanken. Frauenförderung ist Sand im Getriebe. Aber bei der Telekom hat die freiwillige Selbstverpflichtung zu Frauen in Führungspositionen funktioniert. Der angestrebte Anteil von 30 Prozent scheint erreichbar.

Sind die Unternehmen denn wenigstens für die Umbrüche der Digitalisierung gerüstet? Manche Experten rechnen damit, dass das Internet jeden zweiten der heutigen Arbeitsplätze überflüssig macht.
Sattelberger: Wir wissen nicht, was kommt. Klar ist nur, dass künftig andere Qualifikationen gebraucht werden. Zum einen brauchen wir mehr Menschen in den Tätigkeitsfeldern Mathematik, Technik, Informatik und Naturwissenschaften. Zum anderen brauchen wir Menschen in Bildungs- und Gesundheitsberufen. Darauf müssen wir unser Bildungssystem besser ausrichten. Das Internet ist ja nicht nur eine technische, sondern auch eine soziale Innovation. In unserem Bildungssystem muss mehr Raum für Experimente und Querdenker geschaffen werden. Wir müssen weg vom heutigen Fließbandsystem.

Sie selber haben einen für einen deutschen Topmanager ungewöhnlichen Lebenslauf. Sie waren einer kommunistischen Jugendorganisation aktiv, bis sie dort wegen Kontakten zu dem als zu bürgerlich geltenden Joschka Fischer ausgeschlossen wurden. Dann wechselten Sie in die Wirtschaft.
Sattelberger: Ja, mein persönlicher Lebensweg hat meine Arbeit sicher sehr geprägt. Ich stamme aus einem nichtakademischen Elternhaus habe zweimal mein Studium abgebrochen, um mehr Zeit für die Politik zu haben. Ich habe immer den Eindruck gehabt, diese vermeintlichen Defizite durch besonders viel Arbeit und Leistung ausgleichen zu müssen. Aber es hatte auch Vorteile: Organisation und Management habe ich bei der APO (Redaktion: „Außerparlamentarische Opposition“, linke Studentenbewegung in den 60er Jahren) gelernt. Heute hätte mich danach wohl kein Konzern eingestellt: Im Internet lässt sich jeder Schritt eines Menschen verfolgen. Dabei bräuchte die Wirtschaft mehr Führungskräfte mit außergewöhnlichen Lebensläufen.

Ihre Vorstellungen von Bildungspolitik wollen Sie jetzt in der FDP durchsetzen. Mit 66 Jahren genießen andere schon ihren Ruhestand. Was treibt Sie an?
Sattelberger: Ich habe einfach Lust, mit Ideen zu bewegen. Und in meinem neuen Feld muss auch ich noch viel lernen. Ich kann nicht mehr der Patriarch aus dem Vorstandsbüro sein, sondern muss viel mehr netzwerken und überzeugen. Das ist für mich eine neue, spannende Herausforderung.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort