Werbung Kinder sehen 12.000 Werbespots pro Jahr

Berlin · In den Einkaufszentren leiden auch Erwachsene gelegentlich unter der Qual der Wahl. Doch Kinder haben es ungleich schwerer, vor allem die sehr jungen. Sie nehmen alle Reize weitgehend ungefiltert war.

 Familienstress wegen Süßigkeiten: Kinder werden von der Werbung immer gezielter als Kunden umgarnt.

Familienstress wegen Süßigkeiten: Kinder werden von der Werbung immer gezielter als Kunden umgarnt.

Foto: dpa

Und daran mangelt es nicht. Dafür sorgt schon die Werbung. Wie viele Eindrücke Kinder dabei verkraften müssen, hat der Hamburger Forscher Thomas Effertz herausgefunden: Im Durchschnitt sehen Kinder im Jahr mehr als 12.000 Werbespots. Die Berieselung zeigt ihre Wirkung in den Vorlieben der Kleinen. Das wissen die Marketingstrategen der Industrie und nutzen die Einfallstore ins kindliche Gehirn geschickt aus.

So wirbt der Cerealien-Riese Kellog's gerne mit Comicfiguren auf der Verpackung von Cornflakes-Varianten. Das kommt besonders gut an, weiß der Wissenschaftler Bernd Weber von der Uni Bonn. Richte sich die Werbung mit kindgerechten Inhalten direkt an die Zielgruppe, reagierten Kinder besonders stark. "Dies sind vor allem Zeichtrickfiguren oder Charaktere", sagt der Verhaltensforscher, "zudem sind Beigaben auf Nahrungsmitteln für Kinder extrem reizvoll."

Diesen Schwachpunkt nutzt das Marketing der Hersteller aus. Umstritten ist diese verbreitete Praxis vor allem bei Lebensmitteln. Denn die Werbeetats sind vor allem bei den weniger gesunden Süßigkeiten besonders hoch. Doch mit Kindern als treue Kunden lässt sich eine Menge Umsatz erzielen. Längst ist der Nachwuchs zu einer Milliardenklientel herangewachsen. Nach Berechnungen der Ehapa Kids Verbraucheranalyse summieren sich allein die Geldpräsente der deutschen Kinder auf rund 840 Millionen Euro im Jahr. Dazu kommt noch das Taschengeld von insgesamt 1,7 Milliarden Euro.

Die Verbraucherorganisation Foodwatch hat in diesem Sommer 281 Lebensmittel untersucht, bei denen sich die Reklame direkt an Kinder richtet. Gerade einmal 29 Prozent der Produkte hätten nach den Maßstäben der Weltgesundheitsorganisation an Kinder vermarktet werden dürfen, wenn sich die Industrie an ihre in einer Selbstverpflichtung festgelegten Maßstäbe gehalten hätte. "Die meisten Kinder-Lebensmittel sind keine Lebensmittel, sondern lediglich Süßigkeiten", kritisierte Dietrich Garlichs von der Deutschen Diabetes Gesellschaft.

Verbraucherschützer und Kinderärzte warnen schon seit Jahren vor den möglichen Folgen der Werbeflut und der daraus resultierenden ungesunden Ernährung. Jeder siebente Heranwachsende ist übergewichtig oder sogar regelrecht fett. Sie sehen dies als Ursache von Folgekrankheiten wie Diabetes.

Die Eltern können den Konsumwünschen der Jüngsten wenig entgegensetzen. Denn Aufklärung über eine gesunde Ernährung fruchtet nur bedingt, wie Weber anmerkt: "Unbewusste Treiber haben eine große Bedeutung für Entscheidungen", sagt der Wissenschaftler. Wird das Lustzentrum im Gehirn durch die Aussicht auf einen Schokoriegel angeregt, fällt die Wahl des Kindes eher darauf als auf den Apfel im Fruchtkorb. Weber zufolge zeigen Studien klar, dass für Nahrungsmittel mit vielen Kalorien viel mehr geworben wird als für gesündere Produkte. "Hier müssen klare Rahmenbedingungen geschaffen werden, die Kinder vor der Beeinflussung hinsichtlich des Konsums hochkalorischer Nahrungsmittel besser schützen."

Die Werbewirtschaft weist die Vorwürfe zurück. Übergewicht sei ein weltweites Problem und bei deutschen Kindern unterdurchschnittlich verbreitet, stellt der Zentralverband der Branche (ZAW) fest. Auch mache Werbung keine Kinder dick. Vielmehr verschaffe sie die emotionale Orientierung, um in der modernen Gesellschaft zurechtzukommen. Schließlich verweist der Verband auf das hohe Schutzniveau, das auch aus der Selbstverpflichtung der Wirtschaft zum Kindermarketing sorge.

Doch selbst der Lobbyist der Firma Mars, Matthais Berninger, räumt ein, dass die europäische Selbstverpflichtung der Industrie zu schwach ist. Eine gesetzliche Regelung zur Werbung lehnt er allerdings ab. Bislang konnte die Industrie entsprechende Pläne verhindern, wie die Einführung einer Lebensmittelampel vor einigen Jahren.

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