75. Geburtstag Stell dir vor, John Lennon würde twittern

Heute vor 75 Jahren wurde John Lennon in Liverpool geboren. Fünf Autoren des General-Anzeigers erzählen auf sehr persönliche Weise, was sie mit der Musik des früheren Beatles und Friedensaktivisten, der am 8. Dezember 1980 von einem geistig verwirrten Fan erschossen wurde, verbindet.

Albträume und Glücksmomente: John Lennon 1969 in London.

Albträume und Glücksmomente: John Lennon 1969 in London.

Foto: dpa / Photoshot

Dietmar Kanthak

Der weltumarmende, sozial-utopische John Lennon ist mir immer fremd geblieben. Für "Imagine" - zugegeben ein perfekter Popsong - bin ich nicht der richtige Empfänger. "Imagine no possessions / I wonder if you can" - hat der Millionär das wirklich ernst gemeint? Was mir unter die Haut geht, sind Songs, in denen der Ex-Beatle physische und seelische Verletzungen sowie extreme Gefühle kunstvoll ausdrückte. "Mother" über die in der Kindheit abwesende Mutter inszenierte er als sich steigernden Albtraum. Der Song "Cold Turkey" über die Qualen der Sucht war mit seinen sägenden Gitarren eine dringliche Empfehlung, die Finger von Drogen zu lassen. In eine wunderschöne Form goss er in dem Lied "Beautiful Boy (Darling Boy)" die Wonnen des Vaterseins. Vollkommen mit sich im Reinen war der temperamentvolle Künstler in dem Stück "Watching The Wheels" vom Album "Double Fantasy" aus dem Jahr 1980: "I'm just sitting here watching the wheels / go round and round / I really love to watch them roll." Aus der Gelassenheit wären noch unvergessliche Songs entstanden, da bin ich mir sicher. Es sollte nicht sein. Am Abend des 8. Dezember 1980 wurde Lennon in New York ermordet.

Thomas Kliemann

Tränchen verdrückt am Imagine-Mosaik vor dem Dakota-Building", so könnte die Zeile in meinem New Yorker Reise-Tagebuch vom August 2011 lauten. Der Mensch braucht Orte der Erinnerung, auch wenn er John Lennon ganz tief in sich trägt, nach einem Takt jedes Lied mitsingen kann. Lieber als der mit "Imagine" markierte Ort, wo Lennon erschossen wurde, ist mir die Suite 902 im Amsterdamer Hilton. Eine ziemlich öde Businessherberge, die einen Hauch von Ewigkeit dadurch bekommt, dass hier im März 1969 John und Yoko nach der Hochzeit in Gibraltar ihren Honeymoon verbrachten, im Bett gut gelaunt "Give Peace a Chance" sangen und John darüber die witzige "Ballad of John and Yoko" schrieb. Lennon und McCartney nahmen den Song auf, der letzte Nummer-eins-Hit der Beatles in Großbritannien. Nach der ersten Renovierung bekam die "John and Yoko Honeymoon Suite" die Nummer 702. Ich habe Stunden dort zugebracht, aber nie übernachtet (1700 Euro/Nacht): Alles in weiß, viele Fotos vom "Bed In", dezente Devotionalien, wunderbare Beatles-, Lennon-Songs und Erinnerungen an den fröhlichen, albernen John Lennon.

Bernhard Hartmann

Ich habe mich, als ich die Musik der Beatles in den 70er Jahren lieben lernte und ihre Platten in Dauerschleife hörte, immer besonders gefreut, wenn die Stimme John Lennons aus den Boxen kam. Irgendwie fühlte ich mich seinen Songs am nächsten. Während Paul McCartney bei den Fab Four den Job des virtuosen Alleskönners ausfüllte, der mit Stücken wie "Honey Pie" die Roaring Twenties aufleben ließ und im nächsten Moment in "Helter Skelter" sich wilder gerierte als die Rolling Stones und The Who zusammen, fühlte Lennons Musik sich für mich einfach authentischer an. Vielleicht weil er so oft über sich selbst sang, über seine Verletzungen, Seelenqualen, Trauer, selbst in scheinbar gut gelaunten Stücken wie dem Klassiker der frühen Beatles "Help". Später kamen mehr und mehr politische Lieder dazu. Auf dem "Weißen Album" finden sich beide Seiten: Mit "Julia" hat er seiner bei einem Autounfall ums Leben gekommenen Mutter eines der schönsten und zartesten Liebeslieder aller Zeiten geschrieben, in "Revolution" reagierte er musikalisch einprägsam auf die Studentenunruhen in Paris. Lennon aber war eigentlich immer dann am besten, wenn es um ihn selbst ging. Das war schon auf dem Beatles Album "Rubber Soul" so, dessen Lennon-Beiträge "Norwegian Wood", "Nowhere Man" oder "In My Life" ich bis heute gern höre, und auch in seiner Solophase mit der wunderschönen Ballade "Jealous Guy" oder der versöhnlichen Liebeserklärung an Yoko Ono und alle anderen Frauen dieser Welt: "Woman".

Jasmin Fischer

Zitterpartie und Premiere in der 6. Klasse: Ich sitze an der Tafel, halte das erste Referat meines Lebens - über John Lennon. Es ist die Ära von Pet Shop Boys und Kylie Minogue, aber Lennons Lebensgeschichte und Liedtexte schlagen dem Mainstream zum Trotz eine Saite bei uns Schülern an. Schmachten, träumen, gegen Ungerechtigkeiten wüten - das passt zu unserem Alter. 20 Jahre vorgespult und ich finde mich als Reporterin vor Lennons Kindheitsdomizil in Liverpool wieder, im Kopf seine Melodien und Textfragmente. Natürlich würde ich heute ein ganz anderes Referat halten, der Frage nachgehen, wie John Lennon die Welt sehen würde, würde er noch leben. Imagine! Würden Puff Daddy oder Madonna zu Opa Lennons Geburtstagsparty kommen? Würde er seine Wut über die Fassbomben in Syrien über Twitter herausschreien, Benefizkonzerte für Flüchtlinge geben?Heute wäre sein Moment, nicht nur, weil er Geburtstag hätte - sondern weil seine Vision von Frieden und Miteinander schmerzhaft aktuell ist. Nach Nostalgie wäre ihm angesichts der Nachrichtenlage sicher nicht zumute. Er hätte vielmehr eine klare Botschaft: Rafft Euch auf, Leute, stellt was auf die Beine! Ihr wisst schon, was er meint.

Julie Truchet

Viel Kontakt mit John Lennons Musik hatte ich nicht. Dies könnte daran liegen, dass ich rund 15 Jahre nach seinem Tod geboren wurde. Der erste richtige Zugang zu Lennon war im gymnasialen Musikunterricht. "Imagine" - ein musikalisch tolles, aber im Großen und Ganzen eher rührselig-sentimentales Lied - wurde analysiert und auf den nicht zu überhörenden Kern reduziert: Den Aufruf zum Frieden, ungeachtet der Religion, des Nationalismus, des Privateigentums. Eine schöne Traumvorstellung.Zitate wie "Life is what happens while you are busy making other plans" aus dem Song "Beautiful Boy (Darling Boy)" bleiben im Kopf, sind oft in sozialen Netzwerken zu lesen. Wahre Worte. Viele seiner Worte und Aktionen wie das "Bed-In" im "Queen Elizabeth Hotel" 1969 waren naiv, regten aber zum Nachdenken an. Wurde dadurch die Welt verbessert? Wohl kaum. Was hätte Lennon wohl noch angeregt, hätte er nicht so früh sterben müssen?Er ist ein Held der Popkultur, der vor allem bei der jüngeren Generation mehr und mehr in Vergessenheit gerät. Einige gute Songs über Verlustängste, die wahre Liebe, Zukunftshoffnungen und den Frieden hat er uns geschenkt, egal, ob man seine Philosophie als kitschig-naiv oder ehrlich-hoffnungsvoll bewerten mag.

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