Hochrechnungen: Union vor absoluter Mehrheit

Berlin · Triumph für Kanzlerin Angela Merkel und ihre Union: Ihre seit vier Jahren regierende schwarz-gelbe Koalition wurde am Sonntag zwar abgewählt, doch CDU und CSU steuerten auf eine hauchdünne absolute Mehrheit im Bundestag zu.

Unsicherheitsfaktor war am Abend in den Hochrechnungen von 19.00 Uhr noch die eurokritische Partei AfD, die einen Überraschungserfolg verbuchte. Die FDP flog nach einem beispiellosen Wahldesaster erstmals in ihrer Geschichte aus dem Bundestag. Rot-Grün verfehlte einen Sieg deutlich. Die Kanzlerin hat jetzt alle Karten zur Regierungsbildung in der Hand - neben einer Alleinregierung auch eine große Koalition mit der SPD oder Schwarz-Grün.

Für die erst vor wenigen Monaten gegründete Alternative für Deutschland (AfD) war den Zahlen von ARD und ZDF zufolge der Sprung in den Bundestag möglich - sie lag jeweils bei 4,9 Prozent. Die FDP blieb mit dem schwächsten Ergebnis ihrer Geschichte deutlich unter der Fünf-Prozent-Hürde. Die Union hingegen schaffte ihr bestes Resultat seit der Einheits-Wahl 1990 - erstmals konnte Merkel als Parteichefin das Ergebnis steigern.

Die Union lag gegen 19.00 Uhr um wenige Mandate vor SPD, Grünen und Linkspartei - eine enge Situation, die eine lange Wahlnacht mit großer Spannung versprach. SPD und Grüne hatten ein Zusammengehen mit der Linken strikt abgelehnt. Die Union will nicht mit der AfD kooperieren. Die Piratenpartei verpasste den Sprung ins Parlament.

Nach den Hochrechnungen verfehlten die SPD mit Kanzlerkandidat Peer Steinbrück und die Grünen mit dem Duo Katrin Göring-Eckardt und Jürgen Trittin ihr Wahlziel um Längen: Die angestrebte rot-grüne Regierung wird es nicht geben. Eine große Koalition hatte zuletzt von 2005 bis 2009 unter Führung Merkels regiert und Deutschland gut durch die Wirtschafts- und Finanzkrise geführt.

Nach den Hochrechnungen von ARD und ZDF (19.00 Uhr) kommt die CDU/CSU auf 42,5 Prozent (2009: 33,8) und legt damit um fast 9 Punkte zu. Die SPD verbessert sich um knapp 3 Punkte auf 25,6 bis 25,9 Prozent (2009: 23,0). Die FDP stürzt innerhalb von vier Jahren von 14,6 Prozent auf desaströse 4,6 Prozent ab. Die Grünen erreichen 8,0 Prozent (2009: 10,7) und müssen damit Einbußen von knapp 3 Punkten hinnehmen. Die Linke verschlechtert sich um gut 3 Punkte auf 8,0 bis 8,4 Prozent (2009: 11,9). Die AfD kommt aus dem Stand heraus auf 4,9 Prozent.

Die Hochrechnungen von Infratest dimap (ARD) und Forschungsgruppe Wahlen (ZDF) ergeben für CDU/CSU im neuen Bundestag 302 bis 304 Sitze (2009: 239), für die SPD 182 bis 185 Mandate (146). Die Grünen können mit 57 Mandaten (68) rechnen, die Linke mit 57 bis 60 Sitzen (76). Bei der Wahlbeteiligung zeichnete sich nach dem Negativrekord von 70,8 Prozent vor vier Jahren ein verbesserter Wert ab von 72 bis 73 Prozent.

Zeitgleich zur Bundestagswahl wurde in Hessen ein neuer Landtag gewählt. Hier zeichneten sich nach Prognosen des Hessischen Rundfunks und des ZDF keine klaren Machtverhältnisse ab. Die CDU bleibt zwar stärkste Partei vor der SPD. Die FDP und die AfD kommen aber nicht in den Landtag, Schwarz-Gelb ist abgewählt. Die Linke zieht knapp ins Parlament ein. Rot-Rot-Grün wäre damit in Wiesbaden möglich, ist aber wenig wahrscheinlich. Am naheliegendsten: eine große Koalition.

Merkel sprach unter dem Jubel ihrer Anhänger von einem "Superergebnis" und versicherte: "Wir werden damit verantwortungsvoll und sorgsam umgehen." Unionsfraktionschef Volker Kauder sagte in der ARD: "Wir haben einen klaren Auftrag der Wähler, die Regierung zu bilden." Das Ergebnis zeige, dass die Wähler wollten, dass Merkel Kanzlerin bleibe. Der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel zeigte sich enttäuscht: "Ja, wir haben zugelegt, aber wir haben mehr erwartet, keine Frage", sagte er und gratulierte der Union. "Die CDU/CSU haben einen großen Erfolg eingefahren." SPD-Kanzlerkandidat Steinbrück ergänzte: "Der Ball liegt im Spielfeld von Frau Merkel. Sie muss sich eine Mehrheit besorgen."

CDU-Vorstandsmitglied Annegret Kramp-Karrenbauer schloss Verhandlungen mit den Grünen über eine mögliche Koalition nicht aus. "Es gilt der alte Grundsatz, dass alle demokratischen Parteien untereinander auch gesprächsbereit sein sollten", sagte die saarländische Ministerpräsidentin. Grünen-Spitzenkandidat Jürgen Trittin schloss Gespräche über ein schwarz-grünes Bündnis nicht aus. "Aber die Wahrscheinlichkeit, dass dabei etwas rauskommt, halte ich nicht für besonders hoch."

Der AfD-Vorsitzende Bernd Lucke sprach von einem "ganz starken Ergebnis". "Wir haben die Demokratie in Deutschland reicher gemacht." Er hoffe auf den Einzug in den Bundestag. "Aber auch 4,9 Prozent wären ein großartiger Erfolg." FDP-Chef Philipp Rösler und Spitzenkandidat Rainer Brüderle übernahmen die politische Verantwortung für das Debakel ihrer Partei. Beide deuteten am Sonntagabend ihren Rücktritt an. "Das ist das schlechteste Ergebnis, das wir bislang mit der FDP erreicht haben", sagte Brüderle. Nordrhein-Westfalens FDP-Chef Christian Lindner verlangte eine Erneuerung seiner Partei.

Ein klarer Sieg der Union im Bund hatte sich seit Monaten in allen Umfragen angedeutet. Zudem hatte die Bayern-Wahl vor einer Woche mit einer absoluten CSU-Mehrheit den Schwesterparteien nochmals einen Schub verschafft. Die mit 3,3 Prozent aus dem Landtag geflogene FDP versuchte mit einer massiven Zweitstimmenkampagne ein ähnlich dramatisches Scheitern im Bund zu verhindern - ohne jeden Erfolg. Die Union hatte die FDP-Kampagne strikt zurückgewiesen, auch weil auf diese Weise im Januar die Niedersachsen-Wahl für Schwarz-Gelb verloren gegangen war.

Zur Wahl aufgerufen waren rund 61,8 Millionen Bürger. 34 Parteien mit 4451 Kandidaten bewarben sich in den 299 Wahlkreisen um die regulär 598 Sitze im Bundestag. Deren Zahl kann durch Überhang- und Ausgleichsmandate steigen. Nach der Wahl 2009 zählte das Parlament 622 Abgeordnete - einschließlich 24 Überhangmandate, die alle der CDU/CSU zugute kamen. Sie wurden seinerzeit noch nicht durch Ausgleichsmandate kompensiert. Dies ist erst nach einer vom Bundesverfassungsgericht erzwungenen Änderung des Wahlrechts der Fall. Etwa drei Millionen junge Menschen durften erstmals wählen.

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