Konflikte Erdogan rügt EU

Istanbul/Köln · Der türkische Präsident Erdogan vermisst nach dem Putsch Solidarität aus dem Westen. Im eigenen Land geht er auf Kritiker zu und zieht seine zahlreichen Beleidigungsklagen zurück. Bis Deutschland reicht die Versöhnungsgeste nicht.

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan hält an seiner Klage gegen den deutschen TV-Satiriker Jan Böhmermann fest.

Am Freitagabend hatte er angekündigt, seine Strafanzeigen wegen Beleidigung des Staatspräsidenten zurückzuziehen. Dazu sagte einer seiner Anwälte, Ralf Höcker, der Deutschen Presse-Agentur: "Die Ankündigung bezieht sich nur auf die Türkei. In Deutschland ändert sich vorerst nichts."

In der Türkei sind nach offiziellen Angaben gut 1800 solcher Verfahren anhängig, auch gegen eine Reihe von Oppositionspolitikern. Beobachter werten Erdogans Schritt als Versöhnungsgeste in Richtung Opposition. Er hatte seinen Kritikern unterstellt, die Anstifter des Putschversuchs vor gut zwei Wochen zu unterstützen. Vor allem Anhänger des in den USA lebenden Predigers Fethullah Gülen werden für den Aufstand vom 15. Juli verantwortlich gemacht.

Erdogan hatte in der Folge einen 90-tägigen Ausnahmezustand verhängt. Polizei und Justiz gehen seit Tagen massiv gegen mutmaßliche Verschwörer vor. Bis zum Freitag wurden 18 044 Verdächtige mit mutmaßlichen Verbindungen zur Bewegung Gülens festgenommen. Gegen 9677 von ihnen erging Haftbefehl.

Erdogan wies Kritik aus dem Ausland am harten Vorgehen der Justiz gegen mutmaßliche Verschwörer zurück. Die Kritiker sollten sich um ihre Angelegenheiten kümmern, sagte der islamisch-konservative Politiker am Freitagabend in Ankara. Er beklagte zugleich mangelnde Anteilnahme nach dem Umsturzversuch. So seien etwa aus der EU und anderen westlichen Staaten keine Repräsentanten angereist, um ihr Beileid zu bezeugen, rügte er unter Verweis auf 237 getötete Zivilisten und loyale Sicherheitskräfte.

Unterstützung aus Deutschland kann der türkische Präsident am Sonntag erwarten: Bis zu 30 000 Erdogan-Anhänger wollen in Köln auf die Straße gehen. Eine Live-Zuschaltung Erdogans auf eine Großleinwand wurde allerdings vom Oberverwaltungsgericht verboten. Es sind vier Gegenkundgebungen angemeldet, darunter auch ein Demonstrationszug von Rechten. Die Polizei will mit 2300 Beamten Ausschreitungen verhindern. Die Stimmung zwischen Anhängern und Gegnern Erdogans ist seit dem Putschversuch vor zwei Wochen auch in Deutschland sehr aufgeladen. Hier leben etwa drei Millionen Menschen mit türkischen Wurzeln.

Erdogan beklagte in seiner Rede am Freitagabend, Türken mit Wohnsitz in Deutschland und Österreich werde das Recht zu Protesten verwehrt. Teilweise dürften sie nicht einmal die türkische Flagge an ihren Häusern hissen.

Der Grimme-Preisträger Böhmermann hatte Ende März in seiner Sendung "Neo Magazin Royale" ein Gedicht mit dem Titel "Schmähkritik" vorgetragen. Es handelt unter anderem von Sex mit Tieren und Kinderpornografie und transportiert Klischees über Türken.

Erdogan klagte persönlich gegen Böhmermann und das Gedicht. Daneben läuft in Mainz noch ein Ermittlungsverfahren gegen Böhmermann wegen des Verdachts auf Beleidigung eines ausländischen Staatsoberhauptes. Dies wurde möglich, nachdem die Bundesregierung eine Ermächtigung wegen des Strafverlangens der türkischen Regierung erteilt hatte. Böhmermanns Anwalt war zunächst nicht für eine Stellungnahme zu erreichen.

Der regierungskritische türkische Journalist Can Dündar prangerte den immens gewachsenen Druck auf die Medien im eigenen Land an. "Man kann kaum noch atmen", sagte der Chefredakteur der Zeitung "Cumhuriyet" in einem Interview der WDR-Sendung "Aktuelle Stunde". "Es gelten weder Recht, noch Demokratie oder Menschenrechte." Die laufende Verhaftungswelle in Medien, Justiz und Militär nach dem gescheiterten Putsch habe unter Journalisten eine "allgemeine Atmosphäre des Schweigens und der Selbstzensur" befördert.

Dündar war im Mai zu fünf Jahren und zehn Monaten Haft verurteilt worden. Er war schuldig befunden worden, geheime Dokumente veröffentlicht zu haben, die türkische Waffenlieferungen an Islamisten in Syrien 2015 belegen sollen. Derzeit ist er bis zum Berufungsprozess auf freiem Fuß.

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