Anschläge in Paris "Das hier ist echt"

Als die Selbstmordattentäter mit ihren Bomben am späten Freitagabend in Paris zahlreiche unschuldige Menschen in den Tod rissen, war Sophia Bobic in Paris unterwegs. Die 18-jährige Bonnerin berichtet, wie sie die Tage in Paris erlebt hat

 Sophia Bobic,die Autorin des Textes.

Sophia Bobic,die Autorin des Textes.

Foto: privat

Als die Selbstmordattentäter mit ihren Bomben am späten Freitagabend in Paris zahlreiche unschuldige Menschen in den Tod rissen, war Sophia Bobic in Paris unterwegs. Die 18-Jährige aus dem Bonner Stadtteil Endenich, die im Mai ihr Abitur am Ernst-Moritz-Arndt-Gymnasium gemacht hat, lebt seit Anfang September in Paris und arbeitet im Rahmen eines freiwilligen sozialen Jahres in einer evangelischen Kirchengemeinde im Vorort Bois-Colombes. Für den General-Anzeiger hat die junge Bonnerin ihre Eindrücke der Tage aufgeschrieben.

Es ist Samstagmittag. Ich trete auf die Rue Victor Hugo im Vorort Bois-Colombes. Was ist heute anders, wie verhält sich Frankreich im Ausnahmezustand? État d'urgence - dieses Wort ist in aller Munde. Aber für jene Pariser, die die touristisch überlaufene Gegend um den Eiffelturm und das Centre Pompidou am Wochenende ohnehin meiden, stellt sich vor allem die Frage: Was heißt Alltag im Ausnahmezustand?

Für mich heißt es: Der Theaterbesuch fällt heute aus, die Verabredung zum Essen wird eingehalten. Das Restaurant ist gut gefüllt und die Gespräche verlaufen schnell von "Was hast du gestern Abend gemacht?" zu anderen Themen. Bis es eine Pause gibt. Das passiert an diesem Tag häufiger. Die Familie am Nachbartisch sitzt zeitweise schweigend zusammen. Die Jugendlichen, die draußen warten, sind still um ein Handy versammelt. Auch ich habe in der letzten Nacht immer wieder schweigend in meine Laptopkamera geblickt, in ein anderes entgeistertes Gesicht.

Während die erste Frage von deutschen Verwandten und Bekannten lautet "Wo warst du gestern Nacht?", fragt man unter Parisern inzwischen: "Wird jemand, den du kennst, vermisst?" Und dann: "Wann wurde dir klar, dass das da echt ist? Dass es wirklich passiert?"

Für mich kommt dieser Moment irgendwann am Freitagabend, so gegen 23 Uhr. Die Zeitung "Libération" twittert eine Karte der bis zu diesem Zeitpunkt bekannten Schauplätze. Ich lese "Rue Bichat", "Bataclan", "Rue de Charonne". Rue de Charonne. Seit ich in Paris wohne, ist diese Straße eine meiner Lieblingsorte, hier gibt es den Döner, der am ehesten nach zu Hause in Bonn schmeckt. Noch am Mittwoch saß ich hier mit meinem Bekannten Clément, der um die Ecke wohnt. Die SMS von ihm ist eine der ersten, die ich an diesem Abend erhalte, als ich auf dem Nachhauseweg bin, als es noch heißt: 18 Tote, irgendwo.

Jetzt erkenne ich Geschäfte und Häusereingänge in den verwackelten Bildern. Die Nachrichten gehen weiter, jede Minute kommt eine neue Meldung und während das Ausmaß der Geschehnisse ins Unermessliche steigt, wünschen mir die ersten eine "sichere Nacht" und gehen schlafen. Wir fragen uns, in was für einer Stadt wir morgen aufwachen werden.

Am nächsten Morgen, also am Samstag, zur verabredeten Zeit sind nur zwei der Ehrenamtlichen da, die in der Gemeinde, die seit zwei Monaten mein Arbeitsplatz ist, beim Aufbauen für eine Aufführung helfen wollten. Wir fangen allein an und hören nach einer Viertelstunde wieder auf. Ob die geplante Aufführung, für die wir die schweren schwarzen Vorhänge herrichten, stattfinden wird, steht noch nicht fest. Gespräche am Telefon. Sollen wir uns aufmachen und wie viele der Anwohner Blumen oder Kerzen am Place de la République ablegen? Unschlüssigkeit und schließlich die Entscheidung, sich erst mal nicht zu entscheiden. Vielleicht später. Oder morgen.

Es fällt mir nicht leicht, dies zu schreiben. Es gibt zurzeit viele Momente, in denen überschlagen sich die Gedanken, und der Mund oder die Finger kommen kaum hinterher. Und dann kommt nichts mehr. Weil wir nicht wissen, was es dem Geschehenen hinzuzufügen gibt. Und weil wir wissen, der Mensch, der da schweigend am anderen Ende der Leitung sitzt, hatte seinen eigenen Moment, in dem er verstanden hat: "Das hier ist echt."

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