Sigmar Gabriel Zwischen Kohle, Klima und Protest

BERLIN · Porträt: Sigmar Gabriel versucht als Wirtschaftsminister den Spagat und muss die SPD stabilisieren.

 Sigmar Gabriel.

Sigmar Gabriel.

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Vergangene Woche erst war Sigmar Gabriel ganz nah bei den Menschen. An der Seite von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) warb der Bundeswirtschaftsminister und SPD-Vorsitzende zum Auftakt eines Dialogs, den die Bundesregierung quer durch die Republik mit den Menschen im Land sucht, für "Gut Leben in Deutschland". Der Vize-Kanzler ganz privat: seine beiden Töchter stünden da ganz oben, versicherte Gabriel.

An diesem Wochenende könnte der Wirtschaftsminister, wenn er wollte, wieder ganz nah bei den Menschen sein. Am Braunkohle-Tagebau Garzweiler formiert sich an diesem Samstag breiter Protest: einmal gegen die nach Auffassung von Klimaschützern ungebremste Braunkohleverstromung. Umweltverbände wollen eine 7,5 Kilometer lange Menschenkette für den Stopp des Tagebaus in Garzweiler organisieren.

Auf der anderen Seite aber spürt Gabriel politischen Gegenwind wegen seiner Pläne, über 20 Jahre alte Kohlekraftwerke mit dem Ziel von mehr Klimaschutz mit einer Verschmutzungsabgabe zu belegen. Deutschland will sich beim bevorstehenden G7-Gipfel im Juni auf Schloss Elmau, wie vor sieben Jahren in Heiligendamm, als Klimaschutzvorreiter präsentieren.

Der SPD-Chef, dessen Partei eine traditionelle Nähe zur Kohleindustrie pflegt, schafft damit Widerstand bis tief ins eigene Lager. So nannte Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD), in dessen Land gleichfalls Braunkohle gefördert wird, die Überlegungen "unverantwortlich".

Braunkohlekraftwerke würden, wenn die Vorschläge zum Klimaschutz umgesetzt würden, so unwirtschaftlich, dass die Hälfte stillgelegt werden müsse. Und auch in Nordrhein-Westfalen macht CDU-Vize Armin Laschet gegen Gabriels Kohleabgabeplan mobil: "Wir müssen CO2-Ziele erreichen, aber das geht nicht unter dem Verlust von Zehntausenden Arbeitsplätzen."

Noch im Dezember hatte das Bundeskabinett einen Aktionsplan beschlossen, nach dem bis 2020 zusätzlich zu bisherigen Schritten 22 Millionen Tonnen Kohlendioxid eingespart werden sollen.

Gabriel, im November 2009 nach der schweren Wahlniederlage der SPD ins Amt des Parteichefs gekommen, hat selbstredend das Ziel, die SPD so aufzustellen, dass sie eines Tages wieder den Bundeskanzler stellen kann. Der 55 Jahre alte Pädagoge hat mit Wahlniederlagen seine Erfahrung.

1999 stieg er im Alter von 40 Jahren zum seinerzeit jüngsten Ministerpräsident eines Bundeslandes auf. 2003 verlor er gegen den Spitzenkandidaten der niedersächsischen CDU, Christian Wulff, dieses Amt wieder. Doch mit Bildung der großen Koalition 2005 besann sich die SPD auf eines ihrer größten Talente.

Der damalige SPD-Vorsitzende Franz Müntefering holte Gabriel als Umweltminister ins schwarz-rote Kabinett, wo er den rot-grünen Atomausstieg gegen Angriffe aus der Union verteidigen musste.

Inzwischen ist Gabriels Rolle als SPD-Chef weitgehend unangefochten. Mit Erfolg führte er im Herbst 2013 die Koalitionsgespräche mit CDU und CSU und schaffte es, die Rente mit 63 und den gesetzlichen Mindestlohn im Koalitionsvertrag durchzusetzen. Als Bundeswirtschaftsminister muss sich Gabriel um das Land als Ganzes und um den Standort Deutschland kümmern.

Klimaschutz ja, aber eben auch Investitionen. "Deutschland lebt inzwischen längst von der Substanz", so Gabriel gestern. Er fordert einen nationalen Kraftakt für mehr Investitionen in Straßen, Brücken, Schulen oder auch in digitale Netze.

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