Nach Wiederwahl Die Euphorie ist verflogen

KÖLN · Es sind schwere Zeiten für Hannelore Kraft. In einem Akt der Selbstverteidigung wehrt sich die SPD-Landesvorsitzende gegen die ungewohnt scharfe Kritik der letzten Wochen. Amtsmüde? Schuldenkönigin? Funkloch-Affäre?

 Hannelore Kraft darf sich freuen: Über 95 Prozent der Delegierten haben sie wiedergewählt. Doch es gab auch kritische Stimmen.

Hannelore Kraft darf sich freuen: Über 95 Prozent der Delegierten haben sie wiedergewählt. Doch es gab auch kritische Stimmen.

Foto: dpa

"Alles Quatsch", tönt Kraft trotzig auf dem SPD-Landesparteitag in Köln. Am Ende stärkt die Genossenschaft ihrer Chefin bei deren vierter Wiederwahl mit 95,2 Prozent solidarisch den Rücken. "Jetzt habt ihr mich zwei weitere Jahre am Hals", freut sich Kraft. Und die Vorsitzende verspricht: "Ich will so bleiben, wie ich bin. Ich werde mich nicht verbiegen."

Knapp 40 Minuten setzt die 53-jährige Ministerpräsidentin der "Schwarzmalerei" der Opposition ihre persönliche Erfolgsbilanz gegenüber. Den rot-grünen Schuldenkurs überhöht die Sozialdemokratin zu einem Präventionsansatz mit bundesweitem Vorbildcharakter für eine neue Finanzpolitik. Über so viel Chuzpe staunen selbst die 460 SPD-Delegierten in der Kölner Messe.

Kraft bekennt sich zur Schuldenbremse, will das Land aber nicht "kaputt sparen". In diesem Jahr wird NRW rund 3,2 Milliarden Euro an neuen Krediten aufnehmen, 800 Millionen mehr als zunächst geplant. Das Land stehe vor einem harten und steinigen Weg bis zur Nullverschuldung, blickt die SPD-Chefin voraus. Über die Etappen bis zum Ziel verliert Kraft aber kein Wort. Nur soviel: NRW werde selbstbewusst dafür kämpfen, dass es bei der Reform des Länderfinanzausgleichs mehr Geld in der eigenen Kasse behält. "Jetzt ist der Westen dran", sagt Kraft unter lautem Beifall.

Die Regierungschefin beschreibt NRW als innovativ, stark, fit und gut gewappnet. Doch die Kritik der Opposition an Krafts mäßiger Erfolgsbilanz hat spürbar Wirkung gezeigt. Dünnhäutig und leicht angesäuert keilt die Genossin gegen die CDU, die ihr Heil nur in persönlichen Attacken auf sie suche. Dass die wirtschaftliche Lage in NRW aber nicht ganz so rosig ist, bestätigt Kraft durch das Versprechen, das bürokratische Tariftreuegesetz zu überprüfen.

Auf den Fluren der Kölner Messe räumen SPD-Politiker hinter vorgehaltener Hand ein, dass die rot-grüne Koalition "leicht aus dem Tritt geraten ist - und mit ihr auch Hannelore". Krafts Rede erfüllt ihren Zweck und zwingt die Partei durch die starke Betonung des "Wir-Gefühls" in die Disziplin. Die Euphorie des letzten Parteitags 2012 nach der gewonnenen NRW-Wahl aber ist verflogen. Wer auf Visionen, Ideen und Konzepte in Krafts Vortrag gehofft hat, wird enttäuscht. Nichts Neues im Westen.

SPD-Generalsekretär Andre Stinka will den Mitgliederschwund durch eine Mitmach-Initiative stoppen. Die NRW-SPD ist alt, männlich und auf 122.000 Genossen geschrumpft. In Zeiten von Johannes Rau zahlten noch 285.000 Sozis an Rhein und Ruhr Beiträge. Künftig will sich die SPD stärker auf junge Frauen und die "kleinen Leute" besinnen.

Die Aussprache zu Krafts Rede fällt mangels Interesse aus - kein einziger Delegierter meldet sich zu Wort. Auch die Bildungsanträge werden vertagt. Der Revierschlager Schalke-Dortmund zieht nicht nur Hannelore Kraft in den Bann. Einzig SPD-Fraktionschef Norbert Römer reitet eine Attacke gegen CDU-Landeschef Armin Laschet. Als "Opportunist erster Güte" blinke Laschet am rechten Rand Richtung AfD.

Am Ende des Parteitags wirkt Hannelore Kraft sichtbar erleichtert. Dass ihr Auftritt in weiten Teilen zu einer Rechtfertigungsrede mit viel "Ich" geriet, haben die Delegierten klaglos akzeptiert. Dankbar registriert die Partei, dass Kraft in ihrer Rede auffällig oft die Stärke des Landes als industrielles Herz der Republik betont hat. "Es war sicher ein schwerer Fehler, den Eindruck eines Armenhauses zu vermitteln, das seinen Gästen in der Staatskanzlei nur noch Leitungswasser anbieten kann", klagt ein Genosse über die Auswüchse der Haushaltssperre.

Laschet hatte Kraft vorgeworfen, sie habe bei Aussagen zur telefonischen Erreichbarkeit während ihres Urlaubs gelogen und Aufklärung verlangt. Sie weilte in Brandenburg, als ein Unwetter in Münster zwei Todesopfer forderte. Kraft hatte dazu gesagt: "Ich war in Brandenburg auf einem Schiff und hatte eine Woche keinen Empfang." Sie hatte argumentiert, sie habe daher keine Videos oder Filmbeiträge über das Ausmaß des Unwetters empfangen können. Später stellte sie klar, sie sei schon am Tag nach dem Unwetter telefonisch von NRW-Innenminister Ralf Jäger informiert worden. Römer meinte: "Laschet steht das Wasser bis zum Hals." Wer Kraft "auf so erbärmliche Weise" angreife, bekomme es mit der ganzen SPD zu tun. ga/dpa

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
„Die Bedrohungslage ist hoch“
Bundesinnenministerin Nancy Faeser im Gespräch „Die Bedrohungslage ist hoch“
Aus dem Ressort