Interview mit Robert Habeck "Politik wird zum kleinen Karo"

Er will Spitzenkandidat der Grünen im nächsten Bundestagswahlkampf werden: Robert Habeck, 45, ist das neue Gesicht seiner Partei. Mit Eigensinn, aber ohne Dünkel, als wirtschaftsnaher Kritiker der Überstundenkultur vereint er scheinbar Gegensätzliches. Jasmin Fischer und GA-Chefredakteur Helge Matthiesen sprachen mit ihm.

 Schnupperkurs mit Minister: Robert Habeck, hier auf Tuchfühlung mit einem Kalb in Norddeutschland, strebt für die Grünen die Spitzenkandidatur an.

Schnupperkurs mit Minister: Robert Habeck, hier auf Tuchfühlung mit einem Kalb in Norddeutschland, strebt für die Grünen die Spitzenkandidatur an.

Foto: dpa

Wenn Sie eine Kontaktanzeige aufgeben würden, wie würden Sie sich selbst beschreiben? Wer ist Robert Habeck?
Robert Habeck: Derzeit der Minister für Energie, Umwelt und Landwirtschaft in Schleswig-Holstein, ein zugänglicher Typ, der das gerade Wort schätzt und im Mai erklärt hat, dass er bei der Urwahl der Grünen für die Spitzenkandidatur kandidieren will.

Was sind die Themen, die Sie als Kandidat persönlich umsetzen wollen?
Habeck: Ich will für eine politische Kultur werben, ja, kämpfen, in der um Meinungen und Mehrheiten öffentlich gerungen wird. Das ja schon fast geflügelte Wort der Alternativlosigkeit ist tief in die politische Kultur eingesickert. Das ist für mich persönlich schwer zu ertragen, aber vor allem auch ein demokratisches Problem. Ich hasse es, wenn jemand in Phrasen mit mir redet. Und ich habe sehr das Gefühl, dass Politik in Deutschland immer mehr zum kleinen Karo wird. Wir streiten über lauter Zahlen und Nuancen, aber die großen Fragen werden nicht mehr gestellt, geschweige denn beantwortet. Das war auch der persönliche Grund für meine Kandidatur. Ich würde mich ja einreihen in die Linie der Alternativlosigkeit, wenn ich selber nicht bereit wäre, eine Alternative zu schaffen.

Sind die klassisch grünen Themen wie Energiewende, Klimaschutz, und Umweltpolitik Themen, die für die Zukunft reichen
Habeck: Eine Schlüsselfrage der Zukunft ist, Wohlstand und Lebenszufriedenheit unter den Bedingungen knapper Ressourcen und ökologischer Herausforderungen zu sichern. Das wird die große Herausforderung fürs nächste Jahrhundert. Das ist der Horizont, vor dem sich Innovation und Fortschritt und - wenn es nach mir geht, Lebensfreude und Optimismus - beweisen müssen. Darin steckt eine etwas andere Konnotation als die, mit der Grüne häufig wahrgenommen werden, nämlich Grenzen ziehen, Verbote erlassen, sagen, was alles nicht geht. Umgekehrt: Die Gesellschaft weiterzuentwickeln unter veränderten, ökologischen Bedingungen, das ist die Zukunftsaufgabe.

Viele grüne Positionen sind mittlerweile Allgemeingut geworden. Ist die grüne Agenda erledigt?
Habeck: Ich seh's genau umgekehrt. Richtig ist, dass viele Punkte, die die Grünen vor zwei, drei Jahrzehnten aufgebracht haben und die Bonsai-Status hatten, heute Mainstream sind, etwa die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, Verbraucherschutz, Atomausstieg, die Abschaffung der Wehrpflicht, die Einführung von Frauenquote und Mindestlohn. Aber nicht den Grünen sind die Themen ausgegangen, sondern die Konservativen haben ihren eigenen Markenkern aufgegeben. Das ist mir übrigens nur recht. Für die Grünen ist die Entwicklung, dieser Erfolg Ansporn, voller Selbstbewusstsein die vielen ungelösten Fragen anzugehen.

Es wird häufig geklagt, dass die Grünen in der Bundespolitik derzeit kaum wahrnehmbar sind.
Habeck: Ich teile diese Position nicht. Vieles, was jetzt zur Flüchtlingspolitik diskutiert wird, haben die Grünen als ausgearbeitete Vorschläge in den Bundestag eingebracht. Es ist vielleicht schwierig, medial durchzudringen. Das liegt daran, dass die Große Koalition gut mit sich selbst beschäftigt ist. Also besteht die politische Aufgabe für die Grünen darin, die Fragen, die wirklich groß sind, auch zu großen Debatten zu machen.

Wie die Flüchtlingsfrage?
Habeck: Ja. Es steht ja leider zu befürchten, dass das Thema uns noch Jahre beschäftigen wird. Und was diskutiert Deutschland? Die symbolische Frage der sicheren Herkunftsländer. Aber was tun wir eigentlich, wenn die Situation in Afrika immer schlimmer wird, wenn immer mehr Menschen nicht bereit sind, ihr Elend zu ertragen? Warum gibt es keine europäische Solidarität, ein starkes Europa, das seine Humanität beweist?

Was wären konkrete Lösungen?
Habeck: In Deutschland brauchen Länder und Kommunen eine stärkere finanzielle Beteiligung des Bundes. Er lässt uns buchstäblich allein und löst damit Konflikte aus, die letztlich den großen Konsens der Hilfsbereitschaft aushöhlen. Dazu brauchen wir Hilfe für und Aufklärungskampagnen in den Herkunftsländern. Und drittens müssen wir Genehmigungsverfahren beschleunigen, indem wir Flüchtlinge aus Syrien ohne Asylprüfung aufnehmen, Widerrufsverfahren streichen, das Dublin-Abkommen aussetzen und Menschen, die schon seit Jahren im Asylverfahren feststecken, eine legale Bleibemöglichkeit schaffen.

Was ist dabei das Grüne?
Habeck: Humanität und Rationalität. Die Menschen, die nach Deutschland wollen, können derzeit nur den Weg des Asylrechts wählen. Wir brauchen einen zweiten Weg der gesteuerten, aber legalen Zuwanderung. Wenn wir den haben, werden wir das Asylrecht als Kern des Selbstverständnisses dieser Republik nach dem Faschismus bewahren können.

Mit welchen Partnern wollen Sie Politik machen?
Habeck: Ich regiere mit der SPD und das läuft hervorragend. So ist es in den meisten Bundesländern und Grün und Rot haben immer noch die höchste Affinität - trotz des erneuten SPD-CDU-Bündnisses im Bund. Aber wenn es nicht für Rot-Grün reicht, gibt es auch Bereitschaft, in anderen Bündnissen Verantwortung zu übernehmen: Es gibt Schwarz-Grün in Hessen und Rot-Rot-Grün in Thüringen. Entscheidend ist, ob progressive Politik und Gestaltungswille vorhanden sind.

Machen wir einen Schlenker Richtung Energiewende und -politik. Ist die Debatte beendet?
Habeck: Überhaupt nicht. Man muss wieder begreifen, was Energiewende und Klimaschutz eigentlich meinen. Nämlich Lebensgrundlagen erhalten und ohne Wirtschaft und Wohlstand zu gefährden, Alternativen zu fossilen Energien entwickeln. Energiewende heißt Innovation auslösen und Arbeitsplätze schaffen. Gerade für das Hochindustrieland Deutschland heißt sie das. NRW zum Beispiel hat eine Riesen-Chance, als Industriestandort unter der Energiewende aufzublühen und stark zu sein. Ich habe in den letzten Tagen viele Unternehmen besucht, die ihre Produktion unter den neuen Bedingungen leisten oder für die Energiewende produzieren. Die Kabel für den Leitungsausbau, Aluminiumschmelzöfen als Energiespeicher oder etwa die Firma, die früher für den Kohleabbau produziert hat und jetzt Teile für Windräder baut - alles schon Alltag in NRW.

Die wenigen Hochtechnologiejobs können aber doch die Tausenden verlorenen Jobs in der Schwerindustrie nicht ersetzen ...Habeck: Doch, können sie und sie tun es ja. Und es sind nicht wenige. In der Steinkohle arbeiten heute noch 10 000 Menschen. Diese Jobs hat der Staat zum großen Teil mitbezahlt - bis heute. Zu Recht hat man entschieden, dass man die Gelder anders und zukunftsträchtiger verwenden kann. Ich sehe auch einen Zusammenhang zwischen der Energiewende und künftigen Flüchtlingsströmen. Wenn wir jetzt 800 000 Flüchtlinge schon fast nicht aufnehmen können, was machen wir in den nächsten 30 Jahren, wenn die Erderwärmung deutlich über zwei Grad geht und es in Nordafrika nichts mehr zu essen gibt? Die Frage nach Gewinnern und Verlierern muss man umfänglicher stellen.

Deutschland hat ja nun die Frauenquote, wie sehr hat das Thema Gleichberechtigung jetzt noch Priorität für Sie?
Habeck: Ich habe mein Familien- und Lebensmodell so aufgebaut, dass ich mit meiner Frau zusammen Familie und Beruf geteilt habe. Wir beide haben uns damals gegen andere Arbeitsangebote entschieden. Unser persönliches Ideal war es, gemeinsam das Gleiche zum Familienunterhalt und zur Kinderversorgung beizutragen. Ich schätze, wir haben beide die exakt gleiche Zahl Windeln gewechselt. Es war ein zentraler Baustein meines Lebens - und das ist nicht vergessen.

Jüngere Generationen treibt die Frage, wie sie Job und Privates bewältigen, ohne auszubrennen. Wie lässt sich da politisch helfen?Habeck: Offensichtlich bestimmen ökonomische Kriterien unseren Alltag. Verfügbar sein, Flexibilität zeigen, Leistung bringen. Viele Menschen haben das Gefühl, manchmal überfordert zu sein. Kinder, Arbeit und Alltag, Wohnungskredit - das ist ein Jonglieren mit sieben Bällen, gerade in einer Phase, in der Glück am zerbrechlichsten ist. Der politische Hebel ist, den Faktor Zeit in die arbeitspolitische Diskussion zurückzubringen. Wir sollten uns ehrlich machen: Firmen sollten die Zahl der Überstunden erfassen und veröffentlichen. Wenn ein Unternehmen jedes Jahr zugeben muss, dass ihm 30 Angestellte fehlen, dann würde das nicht lange toleriert und Teilzeitmodelle würden stärker entwickelt werden. Man kann jede Stunde nur einmal erleben - was gibt es Kostbareres?

Zur Person

Robert Habeck, 45, ist Schriftsteller, Übersetzer und seit 2012 stellvertretender Ministerpräsident und Minister für Energiewende, Landwirtschaft und Umwelt in Schleswig-Holstein. Er studierte Philosophie, Germanistik und Philologie in Freiburg im Breisgau, und promovierte an der Universität Hamburg im Jahr 2000 im Fach Philosophie.

Mit seiner Ehefrau Andrea Paluch arbeitet Habeck als freie Schriftsteller zusammen. Sie betonen, dass ihre doppelte Autorenschaft eine bewusste Entscheidung für einen gemeinsamen Lebensentwurf ist. Das Paar hat vier Söhne im Alter von 13 bis 18 Jahren. 2002 trat Habeck als Mitglied beim Bündnis 90/Die Grünen ein. Schon 2004 wurde er Landesvorsitzender in Schleswig-Holstein.

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